Stollenvortrieb und Kavernenausbruch für Kraftwerksanlage Nant de Drance im Wallis/CH

Zur verstärkten Nutzung des noch vorhandenen Wasserkraftpotenzials für die Stromversorgung sind in der Schweiz mehrere Großprojekte im Bau. Dabei gelangt die Pumpspeichertechnik zur Anwendung, was ausgedehnte unterirdische Stollen- und Kavernenbauten bedingt. Eines dieser Projekte ist die Anlage Nant de Drance im Wallis/CH. Dafür steht unter den beiden bestehenden Stauseen von Emosson ein Tunnel-, Stollen-, Schacht- und Kavernensystem von insgesamt rd. 15 km Länge im Bau.

Mit Investitionen von rd. 1,8 Mrd. CHF (1,2 Mrd. Euro) ist im Einzugsgebiet der beiden seit 1955 bzw. 1975 in Betrieb stehenden Stauseen von Emosson das neue Pumpspeicherwerk Nant de Drance im Bau. Die Anlagen des größtenteils unterirdisch erstellten Zubaus nutzen das Gefälle von 255 bis 390 m zwischen dem neu um 20 m erhöhten Speicher Vieux Emosson (2.225 m ü.M.) und dem Stausee Emosson (1.930 m ü.M.) zur Produktion von Spitzenenergie. Nachdem gemäß der ursprünglichen Planung das Projekt mit 4 Pumpturbinen à 150 MW und einer Leistung von 600 MW vorgesehen worden war, erfolgt nun eine Aufstockung um 2 Pumpturbinen auf eine Leistung von 900 MW. Das setzt bei der Detailplanung durch die mit der Projektierung und Bauleitung betrauten AF-Consult Switzerland AG eine hohe Anpassungsfähigkeit voraus, wie Gesamtprojektleiter Thomas Ihly, dipl. Bauing. ETH Lausanne, im Gespräch erläutert. Das gilt auch für die seit 2008 laufenden Bauarbeiten.

Standort der neuen Anlagen ist das Gebiet der Gemeinde Finhaut zwischen Martigny und Chamonix in unmittelbarer Nähe zu Frankreich.

Der Zugang erfolgt von Le Châtelard direkt neben dem bestehenden SBB-Kraftwerk aus über einen 5,6 km langen Stollen. Dieser führt direkt unter der Trassee der Schmalspurbahnlinie Martigny - Chamonix hindurch.

Neue Kraftwerkskavernen sind das Herz der Anlage

Bei diesem gewaltigen Kraftwerksprojekt werden die wesentlichen Anlageelemente unterirdisch angelegt. Daher wird das Landschaftsbild in dieser reizvollen Gebirgsgegend der Alpen kaum beeinträchtigt. Dem Untertagebau für die Zugangstunnel, Druckschächte und Kavernen kommt eine Schlüsselfunktion zu. Die Hauptkaverne dürfte mit einer Länge von 183 m, einer Höhe von 52 m und einer Breite von 32 m eines der größten derartigen Bauwerke weltweit darstellen. Die Ausbruchkubatur erreicht 230 000 m3, die Felsüberdeckung beträgt rd. 600 m.

In dieser aus dem Fels gebrochenen Turbinenzentrale werden 6 Francis-Pumpturbinen vom Typ Vario-Speed eingebaut. Diese erbringen eine Leistung von je 150 MW und erreichen zusammen einen Wirkungsgrad von 84 %. Zu dieser Maschinenkaverne kommt als weiteres Großausbruchvorhaben die Transformerkaverne mit den Abmessungen 140 m Länge, 18 m Breite und 15 m Höhe hinzu. Ferner 2 Oberwasser-Druckstollen von 200 m Länge und 7,7 m Innendurchmesser sowie 2 betonverkleidete Vertikalschächte von 440 m Tiefe mit 7,0 m Innendurchmesser. Zudem 2 rd. 60 m lange Stahl-Panzerrohre von 5,5 m Innendurchmesser mit Verteilleitungen von je 3,2 m Innendurchmesser. Unterwasserseitig schließen sich 2 Beton-Druckleitungen von 1.200 m Länge und wiederum 7,7 m Durchmesser an die unterwasserseitig vorgesehene 80 m lange stahlgepanzerte Druckleitung an.

Hauptzugangstunnel mit TBM-Vortrieb

Infolge der größtenteils Untertage-Situierung der Kraftwerk-Schlüsselkomponenten ist zu deren Zugang ein umfassendes System von Tunneln, Stollen und Schieberkammern auszuführen. Dabei kommt für den 5,6 km langen und etwas mehr als 11 % geneigten Hauptzugangstunnel eine Hartgesteins-TBM zum Einsatz, während für die beiden 1,7 bzw. 2,1 km langen zusätzlichen Zugangsstollen sowie für die übrigen Schächte und die Kavernen das konventionelle Bohr- und Sprengverfahren eingesetzt wird.

Geologische Verhältnisse

Aufgrund der vorgängigen geologischen Erkundung ist für die Untertagebauwerke mit guten felsmechanischen Verhältnissen gerechnet worden. Im Vortriebsbereich des Hauptzugangstunnels waren auf den ersten 180 m vom Portal in Châtelard aus Permokarbon und Sandstein anzutreffen, dann folgten auf 340 m Länge Mylonite/Kataklasite. Für den folgenden Vortrieb wurde auf 1.040 m im Massiv der Aiguilles Rouges Granit erwartet, auf gut 700 m Migmatistische Gneise, auf fast 2.500 m Orthogneis und auf 965 m Metagrauwake vorausgesagt. Diese Gesteine sind für den Vortrieb als gut bis sehr gut eingeschätzt worden, mit Ausnahme der heterogenen Schieferschichten.

Tatsächlich hatte der TBM-Vortrieb zwischen Tunnelmeter 1.600 und 2.000 eine Störzone mit größeren Verwerfungen zu durchqueren, was zu einer Bauverzögerung geführt hat. Diese Störung ist nun überwunden und die TBM hatte im August 2011 Tunnelmeter 2240 erreicht. Da der Tunnel in weniger als 200 m unter dem Speicher Emosson verläuft und die auftretende Störzone direkt den Flankenbereich der Bogen-staumauer entwässern könnte, muss bei deren Durchqueren ein besonderes Augenmerk auf allfällig mögliche Wasserzutritte gelegt werden. Darüber berichteten Markus Weh und François Bertholet von der Marti Tunnelbau AG an einer Tunnelfachtagung der ETH Zürich. Dies bedeutet, dass die gesamte Zone mit Preventerbohrungen voraus erkundet werden muss. Werden bedeutende Wasserzutritte angetroffen, muss das Gestein vor der Ortsbrust mittels Injektionen abgedichtet werden. Für die Seeunterquerung, für die Annäherung an den Kavernenbereich und für die Durchquerung anderer Störzonen ist vorgesehen, das Gestein mittels destruktiver Bohrungen ohne Preventer voraus zu erkunden.

Bauhauptlos und Materialbewirtschaftung

Die Hauptbauarbeiten, welche dem Bieterkonsortium Groupement Marti/Implenia (GMI) zugesprochen worden sind, haben im Herbst 2008 mit dem Aushub und der Sicherung des Voreinschnittes für den Hauptzugangstunnel begonnen. Das Auftragsvolumen für das Konsortium GMI umfasst den Hauptzugangsstollen von 5.600 m Länge mit 70 m2 Querschnittsfläche, das Stollensystem Emosson von 4.300 m Länge mit 45 bis 50 m2 Querschnittsfläche, die Triebwasserwege von 3.300 m Länge mit 47 m2 Querschnittsfläche sowie 2 Fallschächten von 440 m Höhe mit 38 m2 Querschnittsfläche, ferner als Hauptbauteile die Maschinen- und Trafokavernen. Hinzu kommen Injektionen und Verfestigungen sowie Rohbau- und Innenausbauarbeiten.

Zum GMI-Auftrag gehören auch die Materialaufbereitung für Betonkies sowie die Endablagerung des Ausbruchmaterials. Das gesamte Ausbruchvolumen für den Bau dieses Energieprojektes erreicht die Größenordnung von über 1,5 Mio. m3. Davon können 20 % für die Betonherstellung wieder verwendet werden, der Großteil des Ausbruchmaterials wird in der Deponie Châtelard endgültig gelagert und dabei möglichst gut ins Landschaftsbild integriert. Eine zweite Ablagerungsstätte für eine Kubatur von rd. 400.000 m3 befindet sich auf rd. 2.000 m ü.M. am Rande des Stausees.

Bewährte Herrenknecht-TBM modifiziert

Für den Vortrieb des Zugangstunnels von 5.600 m Länge wird vom Konsortium Marti/Implenia eine Tunnelbohrmaschine von 9,45 m Durchmesser eingesetzt. Dieser führt im Portalbereich im Abstand von etwa 3 m unter der Bahnlinie durch und liegt in einer Lockergesteinszone aus Hangschutt und Bergsturzmaterial. Zu berücksichtigen war, dass für den Aufbau der TBM am Portal nur wenig Platz zur Verfügung stand.

Bei der eingesetzten Hartgesteins-TBM von Herrenknecht handelt es sich um eine jener Tunnelbohrmaschinen, die schon am Lötschberg-Basistunnel im Einsatz waren. Die notwendigen Umbauten im L1-Bereich und der Neubau des Nachläufers einschließlich der Bandanlage wurden nach Angaben von Weh und Bertholet von der Marti Technik AG ausgeführt.

Es galt dabei, die TBM an die spezifischen Projektbedingungen anzupassen, wie Steigung 12 %, enge Kurvenradien von 500 m sowie destruktive Vorausbohrungen mit und ohne Preventer. Falls an kritischen Stellen Wasser erkundet wird, muss das Tunnelumfeld mittels Injektionen abgedichtet werden können. Gemäß dieser Vorgaben weist die TBM die in Tabelle 1 aufgeführten Kennwerte auf.

Konzept für L1 und Nachläufer

Im Vergleich zum Lötschberg-Basistunnel wurden die Plattformen im L1-Bereich massiv verlängert, wie dem Tagungsbericht von Bertholet und Weh weiter entnommen werden kann. Das Netzversetzgerät und ebenfalls die Kabinen der beiden Bohrlafetten wurden weggelassen. Das Sondierbohrgerät ist mittig über dem Gripper so angeordnet, dass der Transportschlitten darüber hinweg fahren kann. Im vorderen Teil der Plattform ist ebenfalls mittig der Spritzbetonroboter angeordnet. Die Ankerbohrgeräte im L1 befinden sich zwischen Fingerschild und Plattform und können das gesamte Tunnelprofil abdecken. Die Anker und die Netze werden von der Plattform aus versetzt. Das Injektionsbohrgerät wird zusammen mit dem oberen Teil des Ringbohrgeräteträgers erst zu dem Zeitpunkt montiert, zu dem es eingesetzt werden muss. Nötige Injektionsbohrungen in der Sohle werden mit einem einarmigen Bohrjumbo ausgeführt. Im L1-Bereich werden in den am meisten zu erwartenden Profiltypen Swellex-Anker versetzt. Im L2-Bereich sind 2 weitere Bohrgeräte angeordnet, mit denen die Löcher für Mörtelanker, die permanente Tunnelsicherung, gebohrt werden. Direkt im Fingerschild befindet sich ein Bogenversetzgerät. Die Stahlbogen werden mit einem Transportschlitten über das Sondierbohrgerät und den Spritzbetonroboter hinweg nach vorne gebracht.

Der Nachläufer ist 148 m lang, besteht aus insgesamt 6 Teilen und musste am Portal auf Grund der beschränkten Platzverhältnisse seitlich vormontiert, stückweise eingehoben und vorgeschoben werden. Weil die Sohle erst hinter dem Nachläufer eingebaut wird, fahren Versorgungsfahrzeuge über die Ausbruchsohle in den Nachläufer. Die Nachläufer selber fahren auf Vorlegestößen. Sämtliche Geräte, auf denen Flüssigkeiten umgeschlagen oder verarbeitet werden, mussten in ihrer horizontalen Ausrichtung an die Tunnelneigung von 12 % angepasst werden. Das Ausbruchmaterial wird auf dem letzten Nachläufer auf das Tunnelband übergeben (Tabelle 2).

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