Bauingenieur im Tunnelbau

Bauingenieur im Tunnelbau – Berufsbild, Ausbildung und Berufsaussichten

Bauingenieure sind wieder gefragt. Und Spezialisten, die trotzdem (fast) alles können, erst recht. Der folgende Beitrag geht auf das Berufsbild, die Ausbildung und auch die Berufsaussichten ein, die einen Tunnelbau-Ingenieur heute erwarten.

Noch vor wenigen Jahren war es für Studienabgänger schwierig, sofort nach Abschluss Ihres Studiums eine angemessene Stelle als Bauingenieur zu finden. Häufig wurden „Praktikanten“-Stellen angenommen, teilweise weit unter Tarif bezahlt und der Ein oder Andere verließ das Baufach und wechselte in einen anderen Beruf über. Firmenpleiten, wie z.  B. Holzmann und WalterBau, ein allgemein schlechtes Image und die gegenüber anderen Akademikern hinterher hinkende Bezahlung führten in den letzten Jahren dazu, dass immer weniger junge Menschen das Fach „Bauingenieurwesen“ als Studium wählten (Bild 1). Zurzeit werden nach Aussage des Bauingenieurverbandes pro Jahr ca. 4000 Absolventen in der Bauwirtschaft und den Behörden benötigt, aber nur ca. 3200 Bauingenieurstudenten machen pro Jahr ihren Berufsabschluss. Der Mangel an Studienabsolventen hat dazu geführt, dass in allen Bereichen des Ingenieurbaus, insbesondere im Tunnelbau nunmehr ein starker Mangel an qualifizierten Ingenieuren herrscht. Manche behaupten auch, dass der Wegfall des früheren Studienabschlusses „Diplomingenieur“ die jungen Leute abhält, das Ingenieurstudium aufzunehmen.

Neue Studienabschlüsse: Bologna-Prozess

26 Kultusminister der europäischen Staaten beschlossen 1999 in Bologna, dass bis zum Jahre 2012 alle Universitäten und Hochschulen ihre Studiengänge auf das konsekutive (aufeinander aufbauende) dreiteilige System umstellen müssen (Bild 2). Ziel ist es, vergleichbare Studienabschlüsse innerhalb der EU zu erhalten. In Deutschland ist die Umstellung an den Hochschulen weitgehend abgeschlossen. Die Abschlüsse heißen nun:
■ Bachelor, nach 6 bis 8 Semes-tern Hochschulstudium
(Abschluss: Bachelor of Science an den Universitäten und Bachelor of Engineering an den Fachhochschulen bzw. Hochschulen für Technik)
■ Master, nach 3 bis 4 Semestern Hochschulstudium
(Abschluss: Master of Science an den Universitäten und Master of Engineering an den Fach-hochschulen bzw. Hochschulen für Technik)
■ Promotions- oder PhD-Studium, mindestens 3 Jahre Voll-zeitstudium
(Abschluss nur an den Universitäten).
In Bologna wurde festgelegt, dass alle Hochschulen ein Qualitätssicherungssystem einführen müssen, um ein Mindestniveau in Europa sicherstellen zu können. Alle Studiengänge müssen evaluiert und akkreditiert werden.
Weiterhin wurde beschlossen, die einzelnen Lehreinheiten mit einem Punktesystem zu bewerten. Dieses System heißt „European Credit Transfer and Accumulation System (ECTS)”. Für eine Lehrveranstaltung werden Punkte – sog. Credit Points (kurz CPs) – vergeben, die sich in erster Linie an der Dauer der Lehrveranstaltung orientieren. Die Studentinnen/-en erhalten die CPs nach erfolgreicher Abschlussprüfung. Durch dieses System soll es dem Studierenden leichter gemacht werden, ein oder mehrere Semester an einer ausländischen Hochschule studieren zu können, ohne dass Studienzeit verloren geht. Alle an der Gasthochschule erlangten CPs sollten an der Abschlusshochschule anerkannt werden. Neben einer gewünschten erhöhten Mobilität sollen auch internationale Kooperationen zwischen Hochschulen gefördert werden.
Ein akademisches Studiensemester entspricht 30  CPs, wobei 1  CP etwa einem 20-stündigen Studienaufwand entspricht (davon ca. 40  % Vorlesungsstunden, 20  % Übungen, 15  % Projektarbeit und 25  % häusliches Lernen). Im Studium sollten durch die Studentinnen/-en pro Semester also ungefähr 600 Stunden an Zeitaufwand erbracht werden.
Der Abschluss als Bachelor erfordert 180 bis 240  CPs (5400 bis 7200 Stunden), der Master-Abschluss ist nach weiteren 90 bis 120  CPs (1800 bis 2400 Stunden) möglich.
Zum Vergleich: An der Hochschule für Technik in Stuttgart dauerte vor der Umstellung das Studium zum Diplomingenieur Bauwesen (FH) mindestens 8 Studiensemester. Davon waren 2 Semester praktische Studiensemester. Die Diplomarbeit konnte bereits im 8. Semester geschrieben werden, wobei sich nur ca. 10  % der Studenten dazu entschieden. Nach der Umstellung auf die neuen „Bologna-Abschlüsse“ dauert das Studium 7 Semester worin ein 1-semestriges Praktikum beinhaltet ist. Die Bachelor-Thesis kann im 7. Semester geschrieben werde, was ca. 90  % der Absolventinnen/-en auch wirklich tun. Die Studieninhalte des Bachelor entsprechen etwa zu 95  % denen des Diplomstudienganges. Das nicht zuletzt von der Bauindustrie gewünschte Ziel der Verkürzung des Studiums wurde an der HfT Stuttgart bei nur geringfügigen Einschränkungen der Lehrinhalte sicher erreicht.

Bauingenieur im Tunnelbau

Die Ausbildung im Bereich des Tunnelbaus wurde in Stutt-gart bereits im Diplomstudien-gang berücksichtigt und auch im Bachelor-Studiengang beibehalten. Die Topografie der Stadt Stuttgart begünstigt sicherlich diese Vertiefungsrichtung, da die Stadt in einer stark gegliederten Mittelgebirgslandschaft liegt und eine Vielzahl von Tunnelbauwerken aufweist. In den nächsten Jahren kommen noch die Tunnelstrecken der DB AG für das Projekt Stuttgart21 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm dazu. An der HfT Stuttgart wurde nicht zuletzt auch deshalb vor 4 Jahren ein Masterstudiengang „Grundbau/Tunnelbau“ eingerichtet, um die Studierenden auch für dieses mögliche Tätigkeitsfeld im späteren Beruf gut zu rüsten.
Eine Besonderheit im Tunnelbau ist sicher der Umstand, dass es sich bei den Auftraggebern vorwiegend um Behörden und Unternehmen der öffentlichen Hand sowie Unternehmen, die sich weitgehend im Besitz der öffentlichen Hand befinden, handelt.
Bei privaten Auftraggebern handelt es sich vielfach um Unternehmen, die bis vor kurzem auch der öffentlichen Hand zuzurechnen waren: Unternehmen aus dem Energieerzeugungs- und Energieverteilungsbereich (Kraftwerksbetreiber, Energieversorger) oder um Unternehmen aus den Berei-chen der Wasserversorgung und -entsorgung.
Allgemein bekannt und im Bewusstsein der meisten vertreten sind Straßen-, Eisenbahn-, S-Bahn- und U-Bahn-Tunnel. Schon weniger bekannt sind die vielen und vor allem auch langen Wasserstollen im Zusammenhang mit Kraftwerksanlagen oder den Anlagen der Wasserversorgung. Die vielen Kilometer begehbarer Abwasserkanäle sind nur den wenigsten Bürgern bewusst, kaum jemand in der Öffentlichkeit hat sie je gesehen.
An der Geländeoberfläche steht immer weniger Platz zur Verfügung. Es ist aufgrund der örtlichen Gegebenheiten häufig unmöglich oder ungewünscht, für Ver- und Entsorgungsleitungen den Boden aufzugraben. Das gestiegene Umwelt- und Selbstbewusstsein der Bürger hat dazu geführt, dass Straßen und Eisenbahnen in der Regel, wenn überhaupt, nur noch nach langen und oftmals mühsamen und aufwändigen Genehmigungsverfahren zu realisieren sind. Die städtebaulichen Todsünden der Vergangenheit durch den Bau von Hochstraßen und aufgeständerten innerstädtischen Bahnen zeigen, dass der Weg in die 3. Dimension nach Oben nicht der Gewünschte und wohl auch nicht der Richtige ist. Was bleibt, ist der Weg in den Untergrund.
Das mögliche Aufgabenspektrum des jungen Ingenieurs im Tunnelbau ist ausgesprochen vielfältig. Gesucht werden:
■ Statisch-konstruktive Ingenieurinnen/-e in Ingenieurbüros oder der technischen Abteilung von Baufirmen,
■ Projektingenieurinnen/-e in der Kalkulation oder der Arbeitsvorbereitung von Bauunternehmen,
■ Schichtingenieurinnen/-e auf einer Tunnelbaustelle,
■ Bauüberwachungsingenieu-rinnen/-e auf einer Tunnelbaustelle,
■ Projektingenieurinnen/-e im Baumanagement einer Behörde, einem Unternehmen aus dem Bahnkonzern der DB AG oder sonstigen privaten oder öffentlichen Unternehmen.
In den Ingenieurbüros dauert es meist etwas länger, bis aus einem Hochschulabsolventen mit guten Kenntnissen in der Statik ein selbstständig arbeitender „Tunnelstatiker“ in Projektleiter-Position wird. Ei-ner der Gründe hierfür ist, dass sich die „Tunnelstatik“ recht stark von der häufig an den Hochschulen vermittelten „Hochbaustatik“ unterscheidet:
■ die Lastannahmen müssen vielfach selbst erarbeitet werden,
■ Bodenparameter werden in der Regel nur mit gewissen Variationen vorgegeben, sodass Parameterstudien oft geboten sind,
■ die Bauwerksgeometrie, insbesondere im Spritzbetonvortrieb, variiert,
■ die Modellbildung ist beim komplizierten Zusammenwirken zwischen Baugrund und Bauwerk aufwändiger und
■ der Baustoff „Baugrund“ ist häufig schwer einzuschätzen oder fast schon unberechenbar.
Bis ein statisch-konstruktiver Ingenieur eigenverantwortlich die statischen Berechnungen und Nachweise durchführen kann, benötigt er neben umfangreicher Projekterfahrung auch stets eine gute betriebsinterne und/oder externe Weiterbildung (Bild 3). Dafür wird der planende Ingenieur im Laufe seines Berufslebens mit einer Vielzahl an interessanten – nicht nur im Inland angesiedelten – Projekten konfrontiert, die gerade im Tunnelbau häufig im Blickfeld der Öffentlichkeit liegen.
Besonders auf Baustellen kann der junge Ingenieur sehr schnell verantwortungsvolle Positionen erreichen. Bereits als Schichtingenieur ist er in seiner Schicht alleine für den Vortrieb verantwortlich. Er muss in Zusammenarbeit mit seinem meist viel erfahreneren Vortriebspolier die auszuführenden Arbeiten im Vortrieb festlegen, entscheiden, ob die Sicherungsmittel ausreichen oder reduziert werden können, und ist für die reibungslose Versorgung der Vortriebsarbeiten verantwortlich (Bild 4).
Gerade in der Bauleitung wird aber von allen Ingenieuren große Flexibilität erwartet. Die Baustellen liegen nicht immer am Wohnort. Pendeln am Wochenende oder Dekadenbetrieb mit Tag-, Nacht- und Wochenendarbeit gehören beim Tunnelbauer zum Geschäft. Das muss jedem Jungingenieur klar sein, wenn er sich entschließt, in einer Baufirma auf der Baustelle oder einem Ingenieurbüro mit Bauüberwachungsaufgaben arbeiten zu wollen.
Etwas weniger reiseintensiv ist in der Regel die Arbeit bei einem öffentlichen Arbeitgeber. Da sich die Arbeit meist auf einen örtlich begrenzten Bereich bezieht, sind die Chancen größer, jeden Abend nach Hause zu kommen. Auch wenn die Bezahlung meist etwas schlechter ist als in der „freien Wirtschaft“, kann die Karriereleiter häufig schnell erklommen werden. Aufgrund der reduzierten Planstellen in den Behörden und der Tendenz, Planungsaufgaben an Ingenieurbüros auszulagern, gibt es nur wenige Zwischenschritte auf dem Weg zum Projektleiter/zur Projektleiterin. Gefragt ist beim Projektleiter, neben schneller Auffassungsgabe und sicherer Verhandlungsführung, die Fähigkeit, Planungsprozesse zu überblicken und rechtzeitig zu erkennen, wo Defizite entstehen könnten. Aber auch der Projektleiter, der sicher nicht in jedem Planungs- und Ausführungsdetail stecken kann, muss Grundkenntnisse in der Tunnelstatik besitzen und wissen, welche Baumaschinen für bestimmte Aufgaben im Tunnelvortrieb benötigt werden.
Diese, teilweise recht speziellen Aufgaben – und es handelt sich hierbei nur um einen kleinen Ausschnitt der tatsächlich anfallenden Tätigkeiten – erfordern eine weit gefasste, umfassende und trotzdem detaillierte Ausbildung.

Hochschulausbildung im Tunnelbau

In der ITA (International Tunnelling and Underground Association) wird im Komitee für Ausbildung und Training (CET) an den grundsätzlichen Vorgaben für die Lehrinhalte der Tunnelbauausbildung an Hochschulen gearbeitet. Obwohl die nationalen Anforderungen sehr unterschiedlich sind, können auch im internationalen Rahmen die Ausbildungsanforderungen klar umgrenzt werden.
Wenn eine Hochschule den Anspruch erhebt, besondere Vertiefung im Tunnelbau anzubieten, und in Zukunft ein offizielles ITA-Zertifikat haben möchte, sollten zumindest folgende Lehrinhalte vermittelt werden:
Da den Tunnelingenieur meistens Aufgaben im internationalen Bereich erwarten, muss er/sie mindestens verhandlungssicheres Englisch beherrschen. Fähigkeiten in Menschenführung, Kommunikations- und Teamfähigkeit, Anpassungsfähigkeit an andere Mentalitäten und fremde Kulturen gehören zum Rüstzeug einer Führungskraft im Tunnelbau. Dies kann im Studium nur durch Projektbearbeitung, selbst gehaltene Vorträge, auch in englischer Sprache, und Baustellenbesuche vermittelt werden.
An folgenden deutschen Hochschulen wird vertieft der Tunnelbau unterrichtet:

■ Ruhruniversität Bochum
Tunnelbau, Leitungsbau und Baubetrieb
Prof. Dr.-Ing. Markus Thewes
Kontakt:

■ Technische Universität Braunschweig
Institut für Grundbau und Bodenmechanik
Prof. Dr.-Ing. Joachim Stahl-mann, IGB TUBS
Kontakt:

■ Universität der Bundeswehr München
Institut für Baubetrieb
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schwarz
Kontakt:

■ Technische Universität München
TUM Zentrum Geotechnik
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Norbert Vogt
Kontakt:

■ Hochschule für Technik Stuttgart
Masterstudiengang Grundbau/Tunnelbau
Prof. Dipl.-Ing. Fritz Grübl
Kontakt:

Wenn sich eine Studentin oder ein Student für den Tunnelbau entscheidet, muss sie oder er in Kauf nehmen, dass die Arbeitszeiten nicht immer regelmäßig sind und die Arbeitsstelle nicht immer direkt am Heimatort zu finden ist. Nach Ende der Ausbildung wird sie/er aber kaum Schwierigkeiten haben, eine anspruchsvolle und interessante Arbeitsstelle mit ausnehmend guten Aufstiegsmöglichkeiten zu bekommen. Aufgrund der großen Nachfrage nach Tunnelingenieurinnen/-en ist damit zu rechnen, dass auch die Bezahlung in Zukunft wieder stimmen sollte.

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