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Großprojekte im Untertagbau – aktuelle Herausforderungen für die Ingenieure

Stuttgart ist Tagungsort der diesjährigen STUVA-Tagung. Außerhalb der engeren Fachwelt wird dieses Ereignis wohl kaum zur Kenntnis genommen. Stuttgart und Tunnelbau werden in der breiten Öffentlichkeit mit den Diskussionen um das Großprojekt Stuttgart 21 verknüpft. Auch andere Großprojekte stehen im Fokus der Öffentlichkeit. Welchen Beitrag können die Tunnelbauingenieure leisten, um diese Projekte mehrheitsfähig zu machen?

Eine lange Projektdauer, der hohe Investitionsbedarf und ein großes öffentliches Interesse sind die typischen Eigenschaften eines Großprojekts. Allein die Dimension von Großprojekten in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht löst in der Öffentlichkeit oft schon Befürchtungen aus, die es vom Bauherrn ernst zu nehmen gilt. Im Dialog mit den Interessens­partnern und den direkt Betroffenen sind jene Brücken zu bauen, um mehrheitsfähige Lösungen zu finden. Dabei darf sich die Diskussion nicht nur um die Kosten-, Termin- und Qualitätsanforderungen drehen. Sicherheitsanforderungen (im Sinne von Arbeitssicherheit und Betriebssicherheit), Umweltanforderungen, die Anforderungen an die Beherrschung von Planungs- und Realisierungsprozessen, die Anforderungen des Markts aber auch die Auseinandersetzung mit der öffentlichen Meinung gehören zu einer gesamtheitlichen Betrachtungsweise. Großprojekte lassen sich heutzutage nur dann erfolgreich realisieren, wenn die Beziehungen zu den Interessenspartnern (Stakeholder-Management) systematisch und mit Tiefgang gepflegt werden.

Großprojekte sind mit Risiken verbunden. „No construction project is risk free. Risk can be managed, transferred or accepted. It cannot be ignored,“ war eine wesentliche Aussage von Sir Michael Latham in seinem Grundlagenbericht „Constructing the team“ zum britischen Bauwesen (1994). Umgesetzt ist diese Botschaft jedoch auch heute noch nicht überall. In Deutschland lassen die haushaltrechtlichen Regeln oft eine vorausschauende Finanzierung von Risikokosten nicht zu. Aus diesen rechtlichen Randbedingungen zu schließen, dass die Risiken dementsprechend nicht frühzeitig und professionell zu analysieren sind, ist ein Fehlschluss. Gerade in den frühen Projektphasen ist ein hochstehendes Risikomanagement von höchster Bedeutung, da zu jenem Zeitpunkt die Handlungsspielräume noch am größten sind.

Risikomanagement ist eine Führungsaufgabe. Die Führungskräfte prägen die Denkweise, ob sich eine Organisation offen mit Chancen und Gefahren auseinandersetzt oder ob diese Themen im Verborgenen bleiben. Es ist deshalb sehr zu begrüßen, dass sich auch die oberste Baubehörde des Bundes, das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, gezielt mit diesen Fragen auseinandersetzt und entsprechende Leitplanken setzen will.

Nebst dem frühzeitigen Erfassen und Beherrschen von Projektrisiken ist die Kultur der Zusammenarbeit unter den Projektbeteiligten ein weiterer entscheidender Erfolgsfaktor. Ob die Projektbeteiligten ihre Zusammenarbeit auf Konfrontation oder aber auf Partnerschaft ausrichten, ist essenziell für den Projekt­erfolg. „Partnerschaft am Bau“ heißt in Deutschland das Stichwort, mit welchem Modelle gefunden werden sollen, die jedem Vertragspartner eine faire Chance zur Wahrung seiner Interessen einräumen und gleichzeitig den Projekterfolg sicherstellen. Partnerschaft in diesem Sinne bedeutet deshalb die Verpflichtung auf gemeinsame Ziele, eine gemeinsam abgestimmte Fortschrittskontrolle sowie die gegenseitige abgestimmte Umsetzung der Maßnahmenplanung im Falle von Abweichungen. Damit eine Partnerschaft gelingen kann, müssen die Verträge in diesem Sinne insbesondere mit einer ausgewogenen Risikoverteilung abgefasst sein. Gerade im Untertagbau haben sich dabei Einheitspreisverträge mit klaren Mechanismen zur Vergütung von Mengenänderungen und bauzeitabhängigen Kosten bewährt. Dies hat auch die ITA in ihrem Bericht Nr. 13 (2013) über spezielle vertragliche Aspekte des konventionellen Tunnelbaus festgestellt.

Partnerschaftlicher Umgang schließt Konfliktsituationen trotz allem nicht aus. Die Partnerschaft muss sich gerade in solchen Situationen bewähren. Häufig einigen sich die Vertragspartner auf ein außergerichtliches Streitschlichtungsmodell, welches hilft Konflikte rasch und mit wenig Aufwand zu lösen. Die Erfahrung von vielen Großprojekten zeigt, dass der Einsatz einer solchen Institution von Vorteil für die Partner im Projekt ist.

„Großprojekte im Untertagbau – aktuelle Herausforderungen für die Ingenieure“ heißt der Titel dieses Beitrags. Wo kommt da die Bautechnik vor? Bisher gar nicht. Es ist eine Tatsache, dass die Öffentlichkeit erwartet, dass die Bauindustrie ihr Handwerk versteht und imstande ist die größten technischen Meisterleistungen zu erbringen. Damit werden die großen Fortschritte der Tunnelbauindustrie wohl zu wenig gewürdigt. Technisch und wirtschaftlich erfolgreich abgewickelte Projekte leisten wohl den größten Beitrag zur Akzeptanzsteigerung von Großprojekten. Mit dem Erzielen eines solchen langfristig nachhaltigen Effekts würde unsere Tätigkeit wohl die größte Anerkennung finden.

Wir Ingenieure des Untertagbaus sind deshalb aufgefordert, uns den erweiterten Anforderungen zu stellen und diese auch zu bewältigen. Die diesjährige STUVA-Tagung wird sicher viele Anregungen zur Bewältigung dieser Herausforderungen geben.

Ihr

Heinz Ehrbar

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