Zwei Generationen Tunnelbau

Dr.-Ing. E.h. Martin und Martin-Devid Herrenknecht im Interview

Die Herrenknecht AG ist ein weltweit erfolgreiches Familienunternehmen mit 5000 Mitarbeitern und der Marktführer nicht nur für Tunnelbohrmaschinen. Seit Gründung der Herrenknecht GmbH im Jahre 1977 durch – wie in der Firmenchronik treffend beschrieben – „Namensgeber, Vorantreiber und Vorstandsvorsitzenden“ Dr.-Ing. E.h. Martin Herrenknecht, entwickelt sich das Unternehmen dynamisch und überzeugt mit technisch anspruchsvollen Problemlösungen beim Unterirdischen Bauen. Inzwischen ist auch Martin-Devid Herrenknecht, Ingenieur und eines von drei Kindern, in das Unternehmen eingetreten. Selten hat man die Gelegenheit, Vater und Sohn zu einem sehr persönlichen Interview mit spannenden Aussagen zu Markt, Technologien und Zukunft des Tunnelbaus zu treffen.

Herr Dr.-Ing. E.h. Herrenknecht, vor einem Jahr – im Juni 2017 – haben Sie Ihren 75. Geburtstag gefeiert und blicken auf ein äußerst beeindruckendes Lebenswerk zurück. Sind Sie inzwischen etwas ruhiger geworden oder haben Sie noch größere Ziele im Blick?

Martin Herrenknecht: Ob ich ruhiger geworden bin oder nicht, müssen Sie entscheiden. Ich denke, dass das ein Maßstab ist, den man nur von außen betrachtet anlegen kann. Es ist schon so, dass ich mich verantwortlich fühle. So lange ich das Unternehmen führe, stehe ich bei Problemen oder wichtigen Entscheidungen direkt für die Lösung bereit. Meine Aufgabe als Vorstandsvorsitzender ist natürlich, dass ich Verantwortung übernehme und schaue, dass die Firma bestmöglich geführt wird. Wenn Sie so wollen: ich bin nicht wirklich ruhiger geworden.

Für viele Ihrer Partner, Kunden, Mitarbeiter weltweit sind Sie eine Instanz und sind froh, dass Sie bei Problemen ansprechbar sind, oder?

Martin Herrenknecht: Das ist vermutlich so. Das Unternehmen ist gut aufgestellt, sodass sich die Notwendigkeit eigentlich gar nicht mehr ergibt, dass ich immer die Probleme lösen muss. Wir haben einen neuen Vorstand mit Michael Sprang als stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden. Er ist Kurt Stiefel als CFO nachgefolgt und ist nun für die Finanzen zuständig. Ebenfalls im Vorstand sind Günter Richter, der für Traffic Tunnelling und die Group Brands zuständig ist, sowie Ulrich Schaffhauser mit Zentralverantwortung für Utility Tunnelling, Mining und Exploration.

Ich bin fit und fühle mich gut. Ich bin kein Mensch, der zu Hause kocht oder zum Saubermachen taugt. Ich mache mich viel lieber im Unternehmen nützlich.

Haben Sie denn noch größere Projekte, Ideen oder Ziele im Auge?

Martin Herrenknecht: Wir müssen schauen, wie wir unsere Konkurrenz in Schach halten. Insbesondere die chinesischen Wettbewerber. Die kaufen bekanntlich alles, was geht. NFM, Wirth und Lovat – heute Lovsuns – alles Unternehmen, die heute chinesische Eigentümer oder Teilhaber haben. Uns wurde auch ein Angebot gemacht und für 25 % plus 1 Aktie 400 Millionen Euro geboten. Wir verkaufen nicht. Wenn Sie so wollen, sind wir der letzte Mohikaner, der in der westlichen Hemisphäre leistungsfähige und innovative Tunnelvortriebsmaschinen herstellt.

Was sich aus meiner Sicht klar abzeichnet: die Chinesen haben nun die Strategie, mit Dumpingpreisen Maschinen auf den Markt zu bringen, durch die Finanzierung ganze Projekte inklusive dem Verkauf von Maschinen an Land zu ziehen und auch die Bauausführung an sich zu ziehen. Das ist für den Gesamtmarkt nicht ganz unproblematisch. Denn damit sind sowohl die europäischen als auch die nord- und südamerikanischen Bau-Unternehmen im Visier chinesischer Ambitionen. Da muss man etwas dagegenhalten.

Konkurrenz und Wettbewerb beleben immer das Geschäft. Es muss allerdings fair miteinander umgegangen werden. Ansonsten könnte passieren, dass die Chinesen, sobald sie die Weltmarktführerschaft erreicht haben, sehr stark mit den Preisen anziehen werden.

In welchem Land oder in welcher Region sehen Sie denn heute die größten Einsatzmöglichkeiten für Tunnelbohrmaschinen? – Wo ist Ihrer Meinung nach noch Potenzial für den Tunnelbau?

Martin Herrenknecht: Das ist natürlich immer noch in China der Fall, aber auch in Singapur, Malaysia, Australien, Neuseeland. Wir sehen auch in Indonesien enormes Potenzial. Entweder sind wir in diesen Regionen schon stark vertreten oder starten gerade. In Südamerika entwickelt sich ebenso ein interessanter Markt: in Brasilien wird sich die Situation nach den innenpolitischen Schwierigkeiten stabilisieren. Auch Argentinien, Kolumbien und Chile expandieren stark. Ich bin überzeugt, dass sich in den nächsten Jahren ein interessanter Markt in Afrika auftut.  

 

Welche Potenziale sehen Sie da genau?

Martin Herrenknecht: Für Afrika bedarf es einer anderen Strategie, etwa bei der Entwicklungshilfe. Ich meine, dass unsere Steuergelder dort ganz anders eingesetzt werden müssen. Ich bin der Meinung, bei den Bauprojekten sollten die Geräte und Maschinen aus den Ländern stammen, aus denen die Steuergelder, die Entwicklungshilfe tatsächlich fließt. Gleichzeitig sollten auch mindestens 60 % der dort eingesetzten Arbeiter aus dem Land stammen, also Afrikaner sein. Diese würden praktisch und langfristig von der Entwicklungshilfe profitieren. Dies erfordert eine gänzlich andere Strategie für den Einsatz von Entwicklungshilfegeldern. Wir müssen dort Schulen bauen, vor Ort Ausbildung fördern und auf diese Weise genau die Voraussetzungen schaffen, die nötig sind, damit diese Menschen gar nicht ihre Heimat verlassen müssen.

Können Sie uns aktuelle Projekte benennen, in denen Sie gerade stark involviert sind?

Martin Herrenknecht: In Singapur sind wir gerade sehr stark beim Deep Sewer Projekt eingebunden. Ich war kürzlich auf einer Reise mit dem Deutschen Bundespräsidenten in Perth, Melbourne und Sydney (Australien) und habe dann Kuala Lumpur und Singapur besucht. In Frankreich sind wir an dem wegweisenden Projekt Grand Paris Express beteiligt.

Am Brenner Basistunnel möchten wir natürlich auch gerne mit von der Partie sein, was uns schon ganz gut gelungen ist. Dieses Jahrhundertprojekt ist ja zu zirka 45 % durch die Europäische Union finanziert. Ich hoffe, dass wir bei der Ausschreibung in 2018 gute Verkaufs-Chancen haben. Die ersten drei Maschinen von Herrenknecht sind im Süden eingesetzt, im Abschnitt Tulfes arbeitet eine Hartgesteinsmaschine für den Erkundungsstollen. Erwähnenswert ist ebenso Norwegen, wo Doppelschildmaschinen mit Tübbingausbau im Hartgestein mit sehr gutem Erfolg im Einsatz sind. Besonders erwähnenswert ist auch das Großprojekt der Deutschen Bahn, Stuttgart 21, mit den sehr anspruchsvollen Arbeiten für den Fildertunnel und Boßlertunnel, sowie die Albvorlandstrecke, wo kürzlich angefangen wurde. In Italien ist der St. Lucia Tunnel mit einer großen EPB-Maschine sehr interessant.

In Russland kommen unsere TBM für den Bau der Metro zum Einsatz. Jedoch sehen wir auch hier, dass durch die gegen Russland verhängten Wirtschafts-Sanktionen die russischen Bauunternehmen und Bauherren mehr oder weniger gezwungen sind, bei den Chinesen zu kaufen. Dabei möchten sie grundsätzlich viel lieber mit uns zusammenarbeiten. Ich persönlich meine, dass die Sanktionen schädlich sind, Russland wieder Möglichkeiten zur Aufnahme von Finanzmitteln bei europäischen Banken bekommen sollte. Russland ist für Europa und Deutschland ein strategisch wichtiger Nachbar.

Martin-Devid Herrenknecht, als einziges der drei Kinder sind Sie im Unternehmen tätig. Über Martin Herrenknecht wissen wir schon so einiges, wahrscheinlich auch nicht alles. Könnten Sie vielleicht ein wenig über sich selbst erzählen, Ihren beruflichen Hintergrund und welche Interessen Sie haben?

Martin-Devid Herrenknecht: Ich gehöre zur zweiten Generation. Da mein Elternhaus gerade einmal 800 m von der Firma entfernt steht, hatte ich schon sehr früh die Firma im Blickfeld. Seit Kindesbeinen an bin ich sehr stark mit dem Unternehmen verwurzelt. Ich saß oft auf dem Beifahrersitz, wenn mein Vater auf dem Weg zu einem Kunden war und habe zugeschaut, was er macht, wenn Probleme auftauchen und wie er agiert. So früh dabei zu sein führt dazu, dass man viele Kollegen im Unternehmen und auch so manchen Kunden kennt, mit denen wir schon fast schon seit Jahrzehnten erfolgreich gemeinsam Projekte realisieren. Zu dieser starken persönlichen Beziehung kam noch dazu, dass ich oft in den Ferien hier im Unternehmen oder auch auf Baustellen gearbeitet habe.

Mein Maschinenbau-Studium habe ich in München absolviert, um danach mit verschiedenen Stationen in anderen Unternehmen – Hydraulik-Unternehmen wie Bosch-Rexroth oder BMW mit dem Bau von Prototypen im Werk Null –, auch einmal ein wenig Abstand von zu Hause zu bekommen. 2014 bin ich dann bei Herrenknecht fest eingestiegen, als Leiter von Projekten in China, Mexiko und Katar. Derzeit arbeite ich vermehrt übergeordnet im Konzern und kümmere mich verstärkt um die Group Brands im technischen Bereich. Ein Thema, das mich persönlich interessiert, ist die Digitalisierung im Bauwesen und speziell bei uns, Projekte in der Forschung und Entwicklung anzuschieben. Was mir besonders gut gefällt ist unsere mittelständische Struktur, in der man eigene Projekte auf den Weg bringen kann. Auch die vielfältigen Arbeitsbereiche und das abwechslungsreiche Tagesgeschäft machen mir sehr viel Spaß.

Das heißt also, dass die Digitalisierung eines Ihrer Spezialthemen ist?

Martin-Devid Herrenknecht: Ja klar, die Digitalisierung im Bauwesen, im Speziellen im Tunnelbau, ist ein sehr spannendes, aktuelles Thema. Insbesondere im Zusammenspiel von Bauunternehmen, Planern und uns, dem Hersteller von Tunnelbohrmaschinen, bieten sich enorme Möglichkeiten. Wie entwickelt sich der Markt in diesem Zusammenhang und wie entwickeln wir uns, um optimal aufgestellt zu sein? Das ist eine der Kernfragen, die wir uns immer wieder stellen.

Bezieht sich die Digitalisierung mehr auf die Produktion, die Ausführung oder mehr in Richtung BIM, also die Anwendung auf der Baustelle?

Martin-Devid Herrenknecht: Wir sind sehr aufgeschlossen unterwegs, es gibt massive Diskussionen im Markt. Bei uns steht im Vordergrund herauszufinden, was durch die Digitalisierung wirklich passiert. Da stellen sich Fragen wie: lässt sich das finanzieren, macht es Sinn für die Fertigung oder für die Anwendung in einem Projekt? Welche Maßnahmen, Erneuerungen sind in der Maschinentechnik notwendig, um neue Anforderungen zu erfüllen? Wir haben natürlich auch das Glück, dass wir Prototypen und Projektunikate bauen und damit immer zu den Ersten in der Entwicklungskette gehören. Nicht zu vergessen, mit welchem Risiko wir im Projektgeschäft unterwegs sind. Gerade bei der Diskussion um BIM – also Building Information Modeling – gibt es noch immer sehr viel Unklarheit und teils Ratlosigkeit, was, wann, wo und wie eingesetzt werden kann oder muss.

Welche Bereiche im Unternehmen finden Sie persönlich besonders spannend?

Martin-Devid Herrenknecht: Vor allem fasziniert mich das Projektgeschäft im Ausland, mit seiner Vielfalt an Kulturen, die einem täglich begegnen, mit denen man sich auseinandersetzen darf, oder manchmal auch muss. Wie unterschiedlich der Mensch in den verschiedenen Kulturen mit der Technik umgeht. In Deutschland, in Europa ist ja größtenteils alles perfekt organisiert. Auf anderen Kontinenten muss man da einen ganz anderen Zugang zu den Menschen, den Partnern oder den Mitarbeitern haben, um ein Projekt erfolgreich umzusetzen. Da kann man dann auch mal nachvollziehen, welche technische Leistung und Expertise hinter unserer Arbeit, hinter dem Know-how von Herrenknecht stecken. Faszinierend finde ich, eben diese Technik weiterzuentwickeln. Etwa das begehbare Schneidrad. Derartige Anwendungen zu optimieren, ohne in eine Art „over engineering“ zu geraten. Der Nutzen für den Kunden, die Sicherheit und Effizienz sowie der Faktor Kosten sind die Anforderungen, die permanent im Vordergrund stehen müssen.

Herr Dr.-Ing. E.h. Herrenknecht, das Unternehmen entwickelt sich von den Umsätzen her gesehen stetig nach oben. Wie sehen Sie die wirtschaftlichen Möglichkeiten im Tunnelbau für Herrenknecht und weltweit? – Ist irgendwann einmal eine Grenze bei Umsatz und technischer Machbarkeit erreicht?

Martin Herrenknecht: Nach einem Auftragseingang von 1,236 Milliarden Euro in 2015 und 1,267 Milliarden Euro in 2016 konnten wir für das Jahr 2017 einen Auftragseingang von rund 1,308 Milliarden Euro präsentieren. Neben dem Kerngeschäft Tunnelbau sind wir auch spezialisiert auf das Mining, wo beispielsweise bei der Erzgewinnung verstärkt weltweit Modernisierungsarbeiten stattfinden. Unsere Richtung ist: im Tunnelbau werden wir künftig das Umsatzniveau halten und den Bereich Mining mit 100 bis 150 Millionen Euro weiter ausbauen. Mit Spezialequipment sind wir zudem im Bereich Exploration/Vertikal-Bohranlagen für die Ölindustrie gut aufgestellt, wo z. B. in der Nordsee verschiedene Arbeiten an einer Vielzahl bestehender Bohrlöcher professionell durchgeführt werden müssen. Bei der Herstellung der Fundamente für die Windräder in der Nord- und Ostsee sind wir ebenfalls involviert. Eine besonders interessante Neu-Entwicklung ist die Variable-Density-Tunnelbohrmaschine, die wir zusammen mit unseren Partnern in Malaysia entworfen haben und die auch in Paris zum Einsatz kommt. Ebenfalls eine ganz neue Entwicklung ist ein Verfahren zur Verlegung von Erdkabeln, von der Nord- und Ostsee bis nach Bayern und in die Schweiz hinein. Ich bin davon überzeugt, dass die Windparks in der Nord- und Ostsee am meisten Energie generieren und Projekte der Grünen wie z. B. das Aufstellen von Windrädern hier im Schwarzwald nicht im Ansatz entsprechend produktiv sein können.

Das heißt also, dass Herrenknecht deutlich über den eigentlichen Tunnelbau hinauswächst?

Martin Herrenknecht: Die Geschäftsbereiche Traffic Tunnelling und Utility Tunnelling sind eine solide und breitaufgestellte Basis unseres Unternehmens. Hier müssen wir uns gegenüber den staatlich stark unterstützten Konkurrenten aus China aufstellen. Wir haben hier unsere Strategie, dem zu begegnen. In erster Linie möchten wir unsere Kunden mit maximaler Qualität und leistungsstarkem Service überzeugen. Ein gutes Beispiel ist der Bosporus-Tunnel in Istanbul (Türkei), der mit chinesischen Unternehmen niemals zum erfolgreichen Durchbruch gekommen wäre. Das Verrückte ist leider, dass heute nur noch die Preise zählen. Ob ein Angebot einen starken Anteil an Service beinhaltet, das spielt oftmals keine bedeutende Rolle. Ich bin allerdings fest der Überzeugung, dass gerade der Bereich Serviceleistungen bei künftigen Tunnelbau-Projekten eine zunehmende Bedeutung erhalten wird. Hinzu kommen bei Herrenknecht 40 Jahre Projekterfahrung, eine enorme Expertise, auf die unsere Kunden zurückgreifen können. Know-how kommt von Erfahrung machen und haben, nicht von Kopieren.

Bei all den Auszeichnungen für Ihre herausragenden Leistungen der letzten Jahre/Jahrzehnte gibt es doch sicher eine Auszeichnung, auf die Sie besonders stolz sind, Herr Dr.-Ing. E.h. Herrenknecht?

Martin Herrenknecht: Der STUVA-Preis, den ich 2005 in Leipzig erhalten habe, war schon eine Anerkennung der Tunnelbau-Industrie, auf die ich sehr stolz bin. Oder aber der ITA Lifetime Achievement Award in 2016. Der Werner-von-Siemens-Ring ist für mich ebenfalls ein ganz besonderer Preis genauso wie der Maschinenbau-Preis in 2017. Vor allem sind das Preise, die nicht jeder bekommt und das schätze ich so daran. Für mich persönlich zählt am meisten, dass wir einen Auftrag erhalten. Preise und Auszeichnungen sind schöne Gesten, auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Daher nehme ich meist solche Preise im Namen und in Vertretung meiner Mitarbeiter, die ja maßgeblich an unserem Erfolg beteiligt sind, entgegen. Eine besondere persönliche Auszeichnung ist für mich das Bundesverdienstkreuz am Bande. Aber am Ende eines langen Tages finde ich dann doch wieder meine ganz persönliche Bestätigung bei den Projekten, an denen wir beteiligt sind: Brenner Basistunnel, Gotthard-Basistunnel, Stuttgart 21, Bosporus-Tunnel, 4. Röhre Elbtunnel, die Entwicklung der Mikromaschinen und viele mehr.

Sie sind ein Mensch, der gerne auch andere Menschen am Erfolg teilhaben lässt und sind sehr engagiert, unterstützen und helfen. Welche Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?

Martin Herrenknecht: In ganz besonderem Maße liegt mir die Ausbildung junger Menschen, die Ausbildung des Nachwuchses in allen unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens, am Herzen. Das leisten wir beispielsweise durch eine fachlich sehr gute Ausbildung in der Herrenknecht Ausbildungswerkstatt mit einem topmodernen Maschinenpark. Dazu gehört auch die Ausbildung im Management, um weltweit bestehen zu können. Wir unterstützen das Max-Planck-Gymnasium jedes Jahr, um die Ausbildung vor allem in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern zu fördern. Wir unterstützen das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), die Ruhr-Universität Bochum, die TU Braunschweig, die RWTH Aachen und viele andere Forschungsinstitute, soziale und örtliche Stellen, sowie mehrere Sportler und Sportarten. Insgesamt sind das jedes Jahr über 150 unterschiedliche Spenden.

Martin-Devid Herrenknecht, Anfang 2017 kamen Sie mit Elon Musk und seinen Ideen für den Tunnelbau in Berührung. Was hat sich da ergeben?

Martin-Devid Herrenknecht: Elon Musk persönlich ist stark interessiert und hat den Kontakt zu Herrenknecht gesucht. Sein Engagement im Tunnelbau bezifferte er auf rund zwei Prozent. Wir waren in Verhandlungen zum Kauf einer Herrenknecht-TBM, was aber nicht zustande kam. Letztendlich hat er andere, gebrauchte Maschinen gekauft. Er ist ja auch bekannt für seine Art, einfach einmal zu machen. Er legt ein ganz anderes Tempo an den Tag, mit einer eigenen Dynamik. Seine Ideen sind allerdings nicht neu. Wir stellen schon lange Überlegungen in diesen Bereichen an, auch andere tun das. Es muss alles am Ende technisch und wirtschaftlich umsetzbar sein. Ich persönlich finde es prima, dass Elon Musk da reinsticht und Druck aufbaut. Wir hoffen gleichzeitig, dass er den Atem behält, aus den Fehlern, die er macht, lernt und vielleicht auch den Zwei-Prozent-Tunnelanteil etwas höher fährt.

Martin Herrenknecht: Musk hat schon gewisse Ideen, die faszinieren können. Hyperloop oder auch Cargo Sous Terrain und CargoCap sind beispielsweise Projekte, die interessant sind. Wenn am Schluss rauskommt, dass man sich mit weniger als 1000 km/h in der Kapsel bewegt und ein innerstädtisches Netz betreibt, wäre natürlich auch das akzeptabel. Auf diese Weise den Abfall abzutransportieren oder Warenhäuser zu beliefern, wäre ein wichtiger Ansatz zur Reduzierung der Verkehrswege in unseren engen Innenstädten. Der Trend in den Megastädten ist sehr deutlich: in Singapur etwa werden die Fahrzeuge limitiert; das heißt vor dem Neukauf muss erst das alte verkauft werden. Mit dieser Limitierung muss aber parallel eine ausgezeichnete Infrastruktur geschaffen werden. In Singapur ist das Ziel, innerhalb einer Entfernung von maximal 300 m entweder eine U-Bahn- oder eine Busstation zu finden. Die Zukunft unserer Großstädte liegt definitiv im Untergrund, ganz gleich ob das Abwasser, Wasser, Gas, Verkehr oder Lagerstätten sind. So gab es schon Überlegungen, Paris von Nord nach Süd mit einem 18 m Durchmesser-Doppeldeck-Tunnel zu unterfahren und große Kapazitäten aufzunehmen.

Wo gibt es Ihrer Meinung nach noch Potenzial zur Neu- und Weiterentwicklung im Tunnelbau, in der Technologie?

Martin Herrenknecht: In Singapur z. B. mit der schwierigen Geologie, wo Felsformationen, hoher Wasserdruck von 5 bar und weiche Böden innerhalb kurzer Strecken vorhanden sind; dort werden wir mit Sicherheit auch in Zukunft neue Maschinen entwickeln müssen. Eine interessante Aufgabe in der Zukunft ist in Deutschland die Verlegung von Fernleitungen von Nord nach Süd, um die erzeugte Energie aus den Windkraftanlagen der Nord- und Ostsee weiterzuleiten. Große Aufgaben im Tunnelbau werden sich aus der Ver- und Entsorgung unserer Großstädte und Metropolen ergeben, ohne mit dem Lkw in diese Ballungszentren hineinfahren zu müssen. Ob die Drohnen-Technologie eine Lösung bringt, wage ich zu bezweifeln. Meiner Ansicht nach ist immer noch das Bauen im Untergrund die beste, umweltfreundlichste und zukunftsträchtigste Lösung. Genau das ist ja schon der Lösungsweg etwa in Singapur: große Straßenprojekte, der zielgerichtete Ausbau der Metro-Infrastruktur, alles unterirdisch: das ist – davon bin ich überzeugt – die Zukunft. Allein die in Thailand und zwischen Kuala Lumpur und Singapur geplanten Schnellzugverbindungen zeigen, in welche Richtungen auf allen Kontinenten die Planungen gehen. Oder etwa die Entwicklung, die alte Seidenstraße oder Langstrecken-Verbindungen in Russland auszubauen. In Nord- und Südamerika werden ebenfalls Schnellzugverbindungen in Betracht gezogen, um die Metropolen miteinander zu verbinden und die Belastung durch den Straßenverkehr zu minimieren.

Ist eine Innovationsgrenze für neue Technologien im Tunnelbau erreicht oder wo geht die Reise hin?

Martin Herrenknecht: Es gibt mit absoluter Sicherheit allein im Bereich der Digitalisierung umfassende Anforderungen für die Visualisierung, Datenerfassung, Auswertung von Algorithmen, auch in Hinblick auf BIM. Eine weitere Entwicklung mit deutlichem Potenzial sehe ich beim begehbaren Schneidrad. Wenn Sie beispielsweise die Werkzeuge am Schneidrad wechseln müssen, bei Begebenheiten wie dem Vortrieb unter dem Bosporus, bei 11 bar, dort können Sie nicht einfach Taucher rein schicken. Hier haben wir eine Entwicklung, dass wir die Drehbewegungen der Schneidrollen messen können und dadurch feststellen, welche Schneidrollen proper arbeiten und welche nicht. So können wir die Schneidrollen auswechseln, bevor größerer Schaden entsteht. Eine weitere Entwicklung könnte die teilautomatisierte Steuerung der Tunnelbohrmaschine sein.

In Paris wurde im November 2017 im Rahmen des ITA-Awards ein Roboter für den Werkzeugwechsel am Schneidrad ausgezeichnet. Wie sehen Sie beide diese Entwicklung?

Martin-Devid Herrenknecht: Die Entwicklung hin zu automatisierten Prozessen – insbesondere im Tunnelbau, bei Tunnelvortriebsmaschinen, – ist natürlich nicht aufzuhalten. Damit verbunden ist ein hohes Maß an Arbeitssicherheit, gepaart mit wirtschaftlichen Abläufen. Teilweise gibt es da Prozesse, die sich über Jahre, fast Jahrzehnte hinweg immer weiter verbessert haben. Es geht um die Entwicklung optimaler Lösungen. Gerade hierbei sind Konzerne wie etwa Bouygues, Vinci, Eiffage oder Gamuda wahnsinnig wichtig für uns, da diese Unternehmen tatsächlich Entwicklungen vorantreiben.

Martin Herrenknecht: Vor 20 Jahren waren Prof. Maidl und ich in Japan und haben die Entwicklungsabteilung dort gesehen, die mit 20 Ingenieuren damals nach Lösungen zum automatischen Ringbau gesucht haben. Der heutige Stand der Technik erlaubt es inzwischen, das automatische Versetzen von Tübbingen wieder anzugehen. Da ist Bouygues eines der wenigen, sehr innovativen Unternehmen im Tunnelbau. Überhaupt sind die französischen Bauunternehmen sehr entwicklungsfreudig, technologie-affin und pushen die Technik, wo sie nur können. Die Deutschen dagegen sind sehr vorsichtig und scheuen das Neue. Am liebsten würden sie eine Mauer um Deutschland bauen. Wie Angsthasen versuchen sie, am Standard festzuhalten. Dabei sind wir einer Dynamik ausgesetzt, da muss man schon sehr fix sein. Die Chinesen etwa wollen um jeden Preis raus aus ihrer Lage, arbeiten 12 bis 14 Stunden am Tag, damit die Kinder es besser haben als die Eltern. Und genau das ist es, was die Chinesen antreibt und uns inzwischen fehlt.

In unserer Academy haben wir drei Monate lang junge Ägypter ausgebildet. Die Durchbrüche am Suezkanal-Tunnel erfolgten zum Jahreswechsel 2017/2018. Für uns ist es sehr wichtig, mit der Academy einen guten Standard in der Ausbildung und Weiterbildung anbieten zu können. Das betrifft sowohl die Ausbildung von Ingenieuren weltweit als auch von eigenen Mitarbeitern, besonders interessant vor allem durch internationale Referenten. Besonders die Ausbildung von unserem Nachwuchs liegt uns am Herzen.

Die Herrenknecht Academy ist ein modernes, top ausgestattetes Schulungs- und Ausstellungszentrum auf dem Werksgelände in Schwanau. Dort finden Kundenschulungen, Werksabnahmen, Workshops, Vorträge von Politikern und Veranstaltungen aller Art statt.

Nach wie vor ist die Neu- und Weiter-Entwicklung im Tunnelbau auch von den Unternehmen abhängig, die das vorantreiben. Was tut sich da aus Ihrer Sicht?

Martin Herrenknecht: Es gibt Kunden, die diesbezüglich sehr aktiv sind, zum Beispiel Ghella und Acciona, die Tunnel bauen mit Doppelschildmaschinen im norwegischen Hartgestein mit Tübbingeinbau. Das hätte ich mir vor einigen Jahren nicht träumen lassen. Bei extremen Hartgestein mit bis zu 300 MPa Druckfestigkeit, mit Klüften im Gestein vor dem Bohrkopf voller Grundwasser. Oder Hartgesteinsmaschinen im Kaukasus mit den Russen, mit einem Schneckenaustrag im Zentrum und nicht mit einem Förderband. Das sind Neuentwicklungen, die wir gemeinsam mit dem Kunden vorantreiben. Das sind Bouygues, die Russen, Gamuda und vor allem Entwicklungen, die schon lange nicht mehr nur in Deutschland entstehen. Die meisten Entwicklungen machen wir inzwischen im Ausland.

Auch jetzt z.B. in Australien oder in Singapur, wo der Kunde ganz konkret Wünsche und Anforderungen an die Tunnelbohrmaschine äußert. Hier sind wir ganz stark gefordert, innovative Lösungen zu finden.

Hier in Deutschland etwa hat man sich an den Steinbühl-Tunnel wegen des vorliegenden Karsts nicht herangetraut. In Kuala Lumpur hat Gamuda wegen des Karst-Problems Neuentwicklungen vorangetrieben und die Variable- Density-TBM entwickelt. In Deutschland ist man übervorsichtig. Sowie etwas passiert, wie etwa beim Tunnel Rastatt, wird der gesamte Infrastrukturbau in Frage gestellt. Diese Haltung ist sehr gefährlich, wie wir es an der Entwicklung des Tunnelbaus in Japan beobachten konnten. Japan hat einmal vor 20 oder 30 Jahren die Entwicklung im Tunnelbau angeführt und heute ist Japan dort global gesehen weg vom Fenster. China ist mächtig im Kommen, mit enormen Finanzreserven, aber das wird irgendwann einmal ein Ende haben.

Martin-Devid Herrenknecht, eine eher persönliche Frage: als Sohn des Firmengründers werden Sie doch sicher ganz besonders begutachtet, im Unternehmen wie auch außerhalb. Wie gehen Sie damit um?

Martin-Devid Herrenknecht: Hier im Unternehmen kennen mich eh die meisten und das auch schon lange. Da ist es keine große Umstellung für mich und alle anderen gewesen, als ich hier ins Unternehmen eingestiegen bin. Auch viele Kunden kennen mich viele, viele Jahre.

Wie und wo vor allem sehen Sie sich zukünftig im Unternehmen?

Martin-Devid Herrenknecht: Nun ja, vor allem steht im Vordergrund die Sicherung des Unternehmens und die Qualität unserer Leistungen. Mir und uns ist daran gelegen, dass das Unternehmen langfristig und nachhaltig aufgestellt ist und noch expandiert. Was den operativen Bereich betrifft, arbeite ich mich in alle Bereiche ein. Unter all den alten Hasen vertrete ich meine Meinung in der Sache klar. Und wenn dann die Top-Verantwortung kommt, sage ich nicht nein.

 

Dipl.-Ing. Roland Herr, Internationaler Freier Journalist und Autor/ International Freelance Journalist and Author, Bangkok, Thailand; Wetzlar, Deutschland/Germany, E-Mail: herrroland@t-online.de

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