Verstellbarer nachgiebiger Tübbingausbau

Im Tunnelbau bereiten nach wie vor Gebirgs-verhältnisse mit hohen Druckbereichen Probleme, die bedingt durch geringe geologische Festigkeitsverhältnisse oder hohe Lockergesteinsüberlagerungen auftreten. Die Bochumer Eisenhütte Heintzmann hat nun den verstellbaren nachgiebigen Tübbingausbau mit Stauchelementen entwickelt, die in der 2. Röhre des Tauerntunnels erfolgreich erprobt wurde.

Der maschinelle Vortrieb im Tunnelbau hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Diese Vortriebsmethode z.B. mit einer Schildmaschine bietet für die Tunnelbaumannschaft ein hohes Maß an Sicherheit. Zudem sind bei homogenen,

kontinuierlichen Gebirgsverhältnissen durch die Automation hohe Vortriebsleistungen möglich, die die Wirtschaftlichkeitsaspekte mehr und mehr stützen. Auch wenn in Bereichen verminderter Gebirgsqualität Sondermaßnahmen erforderlich werden, rechnet sich vermehrt diese Vortriebsvariante.

Probleme bereiten bislang aber nach wie vor Gebirgsverhältnisse mit hohen Druckbereichen bedingt durch geringe geologische Festigkeitsverhältnisse oder hohe Lockergesteinüberlagerungen. Solche und ähnliche Gebirgsverhältnisse können den maschinellen Vortrieb erheblich stören, sie können zu Vortriebsunterbrechungen oder im schlimmsten Fall sogar zu längeren Stillstandszeiten führen. Setzt sich eine Maschine bei solchen Vortriebsverhältnissen komplett fest, sind alle Wirtschaftlichkeitskonzepte in Frage gestellt.

Im konventionellen Tunnelbau, beim Spreng- oder Baggervortrieb der NATM ist eine permanente Anpassung des Ausbausystems an die vorgefundenen geologischen Formationen möglich. Der Vortrieb über Ulmenstollen, temporäre Kalottensohlen, verstärkter Ankereinsatz, die Variation der Ankerlängen usw. ermöglichen die Anpassung der Ausbaumethode an die vorhandene Gebirgs- und Vortriebssituation. Neben den bislang bekannten Vortriebsvarianten wurden beim konventionellen Tunnelbau zudem für schwierige Druckverhältnisse so genannte Nachgiebigkeitselemente (Stauchelemente) entwickelt, die dem Gebirge Deformationswege ermöglichen, Gebirgsspannungen abbauen und somit zu einer Entspannung und hierdurch Abminderung der Druckverhältnisse bis hin zum Spannungs- bzw. Kräftegleichgewicht ermöglichen. Die 2. Röhre des Tauerntunnels konnte nicht zuletzt Dank der Stauchelemente in den extremen Störbereichen erfolgreich vorgetrieben werden. Der Bochumer Eisenhütte Heintzmann gelang es mit den innovativen Wabenelementen angepasst an die Spritzbetonaushärtung einen individuellen, in seinem Widerstand lokal abgestimmten, flexiblen Ausbauwiderstand zu realisieren.

Bemühungen, die Gebirgsdruckverhältnisse bei einem maschinellen Vortrieb zu beherrschen, existieren bislang nur ansatzweise. Derzeit beschränkt sich der Tübbingausbau auf die Aufnahme erhöhter Drücke und Verschiebungen im Ringspalt oder verweist auf ein zusätzliches Deformationsmaß durch die Verwendung von Rippentübbingen. Nachgiebigkeitselemente, ähnlich derer aus dem konventionellen Tunnelbau, gibt es bislang beim maschinellen Tunnelvortrieb noch nicht. Es gibt theoretische Ansätze, jedoch keine praktischen Erfahrungswerte.

Anlässlich der Baumaschinenmesse bauma im Frühjahr 2010 in München hat die Bochumer Eisenhütte Heintzmann, basierend auf dem Gedanken der Nachgiebigkeitselemente „Wabe“, ein Konzept für nachgiebige und verstellbare Tübbinge vorgestellt.

Neue Technik

Für Situationen mit dynamischen, hohen Drücken, Störzonen im Gebirge bzw. großem Konvergenzverhalten sollten die Tübbinge in der Lage sein, über an den Stoßflächen der Tübbingelemente integrierte Nachgiebigkeitselemente dem Gebirge nachzugeben, dem Gebirgsdruck auszuweichen und im Gesamten den Umfang zu verkleinern. Solche Nachgiebigkeitselemente, basierend auf den Erfahrungen mit den

Waben-Stauchelementen beim konventionellen Tunnelbau, wurden von der Bochumer Eisenhütte Heintzmann entwickelt. Die Nachgiebigkeitsele-mente sind in ihrer Widerstandsgröße so ausgelegt, dass sie vor der Zerstörung des bewehrten Betons die Gebirgseinwirkungen aufnehmen, bis sich ein Kräftegleichgewichtszustand einstellt. Unterschiedliche Varianten für mögliche Nachgiebigkeitselemente zeigen die Bilder 1 bis 3.

Die Stahlelemente sind in Anlehnung an die Stauchelemente der Spritzbetonanwendung wabenförmig als Rohre oder Rastergitter ausgelegt und so konstruiert, dass auch eine Verstellbarkeit (Ringvergrößerung/-verkleinerung) möglich ist. Bei den Verstell- und Nachgiebigkeitselementen handelt es sich um Stahlkonstruktionen, die zwischen zwei Druck- bzw. Kontaktplatten angeordnet und dem Tübbing in seiner Abmessung angepasst sind. Gemeinsam mit den Tübbingsegmenten und dem konischen Schlusselement bilden sie einen geschlossenen Tübbingring. Die Nachgiebigkeit wird über Rohr-stücke oder Raster- bzw. Kassettenausbildungen erzielt. Die Verstellbarkeit wird über Längskeile oder Doppelkeile erreicht.

Die Anordnung der Elemente kann beliebig gewählt und in der Tübbingringkonstruktion der Wirkungsweise entsprechend platziert werden. Die Nachgiebigkeitselemente sind in der Widerstandsgröße so ausgelegt, dass sie vor der Zer-

störung des bewehrten Betons die Gebirgseinwirkungen aufnehmen und sich deformieren, bis sich ein Gleichgewichtszustand einstellt. Das System ermöglicht ein optimal zusammenstellbares Baukastenprinzip. Eine Anpassung an die TBM-Maschinentechnik entfällt für dieses Ausbausystem, da der Tübbingsteinversatz in gleicher Weise erfolgt wie bei Tübbingen ohne Nachgiebig-keitselemente.

Unterschiedliche Ausführungen für verstellbare Nachgiebigkeitselemente zeigen die Bilder 4 und 5.

Allgemein können über das Baukastensystem (Bild 6) die ausschließlich nachgiebigen als auch die nachgiebigen Verstellbauteile einseitig über die Be-wehrung im Tübbingbeton oder beidseitig eingebaut werden. In diesem Fall werden die Betonstirnseiten miteinander verschraubt. Ebenso können im Extremfall alle Bauteile untereinander verschraubt werden. Die jeweiligen Stirnseiten erhalten hierbei eingelassene Dichtungen.

Damit die Tübbingsegmente untereinander in Längsrichtung an ihren Stoßflächen verschiebbar bleiben, sind verschiedene Befestigungsmöglichkeiten vorgesehen, die eine räumliche Bewegung zulassen, die Segmente jedoch untereinander positionieren (Bild 7 und 8).

Die Dichtheit der Längsfugen untereinander z.B. gegen Was-serdruck wird heute durch eine trapezförmige, mit Luftkammern versehene Gummidichtung erreicht, die in einer Umlaufnut des Tübbings eingebettet ist. Der Anpressdruck durch die Verschraubungen reicht aus, den notwendigen Dichtheitsgrad zu erzielen.

Bei Bewegungen der Tübbingsteine untereinander reicht unter Umständen diese Methode nicht mehr aus. Bei extremen Verschiebungen der Tübbingsegmente untereinander sollten sie mit einer schlauchförmigen Ringdichtung versehen werden. Diese Schlauchdichtung kann mit einem Medium ähnlich einem Fahrradschlauch aufgepumpt werden (Bild 9). Im Nachgang wäre ein Nachverpressen über eine Ventilkonstruktion möglich. Durch diese Abdichtungsart wäre man nicht mehr ausschließlich auf den Fugendruck der Tübbingringe untereinander angewiesen. Versuche hierzu werden bereits durchgeführt.

Statische Anforderungen, Elementauslegungen und Versuche

Die Statik ermittelt zunächst die typischen Belastungen für den Tübbingausbauring unter Berücksichtigung druckhafter Bedingungen für tiefliegende Tunnelbauwerke bzw. solche mit hohen Lockergesteinauflasten.

Für die Ermittlung der Belastungszustände eines Tübbingrings werden geomechanische Bedingungen als Grundlage für die Berechnung der vorhandenen Schnittkräfte herangezogen. Die Festlegung der Verschiebungen und des Ausbauwiderstandes erfolgt nach dem Kennlinienverfahren. Bei der Verminderung des Stützdrucks verhält sich das Gebirge bis zu einem kritischen Ausbaustützdruck elastisch. Wird dieser Druck jedoch unterschritten, kommt es zu einem plastischen Materialverhalten.

Die Funktionsweise der nachgiebigen Wabenelemente im Tübbingausbau kann als Schaffung eines zusätzlichen Ringspalts für die Deformationen des Gebirges umschrieben werden. Durch den gezielten Einsatz eines Nachgiebigkeitselementes im Tübbingausbau können Deformationen im  System aufgenommen und wirksame Radialspannungen abgebaut werden. Der Tübbing muss nach dem Zusammenstauchen des Elementes den notwendigen Ausbauwiderstand aufbringen und die Wabe verliert nach kompletter Stauchung ihre Funktion. Sie überträgt die herrschenden Normalkräfte zwischen den einzelnen Tübbingsegmenten. Die Auslegung und Dimensionierung der Nachgiebigkeitselemente erfolgt entsprechend dem Verlauf der ermittelten Kennlinie.

Um die theoretischen Ansätze in einem praxisnahen Versuch simulieren zu können, muss nach der Berechnung der zu erwarteten Kräfte im Tübbingring eine Vordimensionierung und somit Einstellung der Nachgiebigkeitselemente erfolgen. Die Elemente müssen in Ihrem Ausbauwiderstand so ausgelegt werden, dass sie die berechnete Statik in der Praxis erfüllen (Bild 10 und 11). Der Deformationsweg in Abhängigkeit zum Ausbauwiderstand muss gewährleistet werden. Hierfür werden an der Ruhruniversität Bochum Versuchsreihen gefahren, bei denen unterschiedliche Elementauslegungen erprobt werden.

Schlusswort

Durch das Baukastenprinzip mit unterschiedlichen Elementvarianten ist es möglich, sich den planerischen und statischen Erfordernissen jederzeit anzupassen. Die Vielzahl der Ausführungsmöglichkeiten und Formanpassungen ermöglicht ein situationsgerechtes Angleichen an die Anforderungen des Tübbings.

Dipl.-Ing. Rudi Podjadtke, Prokurist für den Stahl- und Tunnelausbau, Bochumer Eisenhütte Heintzmann
GmbH & Co. KG, Bochum/D
Dipl.-Ing. Günther Weidig, Vertriebsingenieur, Bochumer Eisenhütte Heintzmann
GmbH & Co. KG, Bochum/D

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