ITA Österreich

Österreichischer Tunneltag 2010

Das Österreichische National­komitee der International Tun­nelling and Underground Space Association (ITA) hatte zum Österreichischen Tunneltag 2010 eingeladen, zu dem wieder fast 700 Teilnehmer – davon viele aus dem Ausland – nach Salzburg/A kamen. Es wurde über besondere Heraus­for­de­­rungen aktueller Großbau­stel­len, Erfahrungen bei der Tunnel­sanierung und neue Ent­­wicklungen berichtet sowie über die Neue Österreichische Tunnelbau­weise (NATM) im Bau­vertrag.


7. ITA-Tunneltag

Das Österreichische National­komitee der ITA veranstaltete gemeinsam mit seinen Mitglie­dern – der Österreichischen Ge­sellschaft für Geotechnik (ÖGG), Austrian Tunnel Association (ATA), Österreichischen Vereini­gung für Beton und Bautechnik (ÖVBB), Österreichischen For­schungsgesellschaft für Straße und Verkehr (FSV) und dem Österreichischen Ingenieur- und Architektenverein (ÖIAV) – am 6. Oktober 2010 seinen 7. Tun­neltag im Kongreßzen­trum Salzburg, woran insgesamt 670 Fachleute aus 15 Ländern teilnahmen. Der Tun­neltag fand dort im Zwei­jahresrhythmus in Verbindung mit dem 59. Geomechanischen Kolloquium (7./8. Oktober 2010) statt.

Eingangs wurde über das Wirken der ITA und der ITA Austria berichtet. Dazu gehört auch die Herausgabe des Buches “NATM – The Austrian Practice of Conventional Tunnelling“ der ÖGG [2], das alle Tagungs­teilnehmer erhielten.


Innovationspreis

Tunneltag

Dieser Preis für Innovatio­nen aus dem Bereich Tunnel­bauplanung und -ausführung, der von weittragender praktischer Bedeutung für den Tunnelbau auch hinsichtlich positiver Umweltauswirkungen ist, wurde diesmal zweimal vergeben (1.500/1.000 Euro und Preisstatue), und zwar für das

Spannbogensystem Unter­inntal mit freitragenden Stahl­bögen für 20 cm Innenschale für den Brandschutz als innovatives Bewehrungssystem, bereits 9 km erfolgreich in Tunneln eingebaut und dabei Ressourcen eingespart, sowie

TBM-Vortriebssicherung mittels gelenkten Horizontal­bohrungen, und zwar ohne Behinderung oder Unter­brechung des Vortriebes: von der Zielbaugrube aus Horizon­talbohrungen etwa 150 m weit (8 bis 10 Bohrungen, Abwei­chung etwa 0,25 m am Ende der Bohrungen), was gegen­über Injektionen von der Ober­fläche etwa 50 % Kostener­sparnis bringt.


Besondere Herausfor­de­rungen aktueller Großbaustellen

Der erste Halbtag befasste sich mit Veränderungen bei der Planung und Ausführung, wie z. B. durch Sondervorschlägen bei den TVM und Vergleich später nachgebauter Röhren von Straßentunneln mit der zuerst gebauten Tunnelröhre, sowie bei Tunnelsanierungen.


Umfahrung Biel Ostast

Zu Beginn berichtete Dipl.-Ing. Bernd Raderbauer von Porr Tunnelbau GmbH in Wien über die „Umfahrung Biel Ostast – Vortrieb von vier Tunneln in wechselnder Geologie“ [3]. Die Umfahrung Biel der Autobahn A5 schließt eine der letzten Lücken im Schweizer National­straßennetz und ist unterteilt in West- und Ostast (Bild 1) von je etwa 5 km Länge. Zum Ostast gehören der 1,2 km lange Büt­tenbergtunnel und der 2,33 km lange Längholztunnel, beide mit zwei Röhren (11 m Innendurch­messer) mit Tübbingausbau (30 cm; 6+1) und Betoninnen­schale sowie Zwischendecke zum Rauchabzug (Längholz­tunnel) und zusammen elf Quer­schlägen; wegen schwieriger, wechselnder Geologie (Bild 2) wurden sie mit einer Erddruck­schildmaschine (S-452; Herren­knecht AG) mit 12,56 m Bohr­kopfdurchmesser und För­der­schnecke aufgefahren. Herausfor­derungen waren weiter der Durchzug der gesamten TVM ohne Demontage über eine offene Strecke (631 m) und die Unterquerung der Gleise der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) und anspruchsvolle Bau­hilfsmaßnahmen, wie eine Tisch­brücke, Bodenverbesserungen und Gefrierverfahren.


Umfahrung Visp, Tunnel Eyholz

Der Beitrag von Ing. Thomas Längle und Dipl.-Ing. Lukas Käppeli von der Jäger Bau GmbH in Schruns befasste sich mit der „A9-Umfahrung Visp, Tunnel Eyholz – Straßentunnel in schwieriger Geologie mit Querschnitten bis zu 300 m²“. Beim Lückenschluss der Auto­bahn A9 zwischen Brig und Sion entstehen Tunnel mit 16,8 km (48 %) Gesamtlänge, wozu der 4,25 km lange Eyholztunnel in bergmännischer Bauweise gehört; er erhält zwei zweispurige Röhren mit 100–200 m² Aus­bruch­querschnitt, 16 Querschlä­ge (davon 5 befahrbar; 25 m) und zwei unterirdische Ver­zweigungsbauwerke (zusammen 730 m lang, bei Quer­schnitten bis 300 m²). Beide Tunnel werden parallel von Osten nach Westen vorgetrieben; sie haben Hufeisenprofil mit Zwischendecke und durchgehendem Werkleitungskanal (10,7 m²) aus Betonfertigteilen unter der Fahrbahn. Der Innen­ausbau besteht aus unbewehrtem Beton 35–40 cm (bewehrt 60–80 cm in den Kavernen). Infolge der umfangreichen geologischen Erkun­­dungen ergaben sich Voraus­sicherungen mit einfachen und doppelten Jettingschirmen und Ortsbrustsicherungen mit stahlfaserbewehrtem Spritzbeton und Ankern in der Locker­gesteinsstrecke, sonst mit stahlmattenbewehrtem Spritzbeton (40–50 cm) und Ankern. – Der Durchschlag in der Südröhre ist im Herbst 2011 geplant und die Fertigstellung des Tunnels Eyholz 2015. Man rechnet mit 385 Mio. CHF (275 Mio. Euro) Baukosten.


Bosrucktunnel 2. Röhre

Dr. Franz Pacher von der Alpine BeMo Tunnelling GmbH in Wels berichtete über den „Bosrucktunnel 2. Röhre – Herausforderung zyklischer Vortrieb in unterschiedlichen geologischen Formationen“ [4,5]. Zum Ausbau des jetzt zwei­spurigen Bosrucktunnels gehören der Bau der 5.425 m langen, zweispurigen Weströhre mit 5 Pannenbuchten (160 m² Ausbruchfläche), 11 Quer­schlägen (davon 5 befahrbar; 45/50 m²), 43 Notruf- und 48 Feuerlöschnischen, sowie die Sanierung der bestehenden Oströhre. Mit dem Vollausbau des Bosrucktunnels und Betrieb in beiden Röhren im Rich­tungsverkehr wird künftig ein stauträchtiges Nadelöhr auf der A9 Pyhrn-Autobahn (E57 Nürnberg-Zagreb) beseitigt. Nach Baubeginn Ende 2009 und Inbetriebnahme der 2. Röhre 2013 ist der Vollbetrieb nach Sanierung der Bestands­röhre 2015 vorgesehen.

Die Weströhre wird mit 95-135 m² Ausbruchquer­schnitt von beiden Portalen aus bergmännisch vorgetrieben (Bild 3, 4) – mit Kalottenvortrieb und nachlaufendem Strossen- und Sohlausbruch. Je nach angetroffenen Gebirgsverhält­nis­sen und Bergwasserzufluss hat der Regelquerschnitt des Tunnels eine offene Sohle, ein flaches oder tiefes Sohlgewölbe und bei druckhaftem Gebirge einen Kreisquerschnitt. Am zweiten Halbtag fand die Preisverleihung statt und die Podiumsdiskussion.


Tunnelsanierungen

Ist „Tunnelsanierung – Eine Arbeit mit Überraschungen?“. So sollte nach Ing. Peter Schwab von der ÖSTU-STETTIN der 2,5 km lange Tanzenbergtunnel alle 500 m Notausgänge und alle 1.000 m Pannenbuchten, eine Ableitung entzündlicher Flüs­sigkeiten (Bild 5) und Feuerfestigkeit der baulichen An­lagen usw. erhalten. Die Aus-wirkungen von unzureichenden oder fehlenden Erkundungen ergaben Behinderungen, Ände­rungen und hinzukommende neue Leistungen sowie starke Abweichung zu den ausgeschriebenen Massen. Für die Ausführung sind Sicherheits­konzepte wichtig, denn die bauliche Sanierung greift in das statische System des Bauwerkes ein; außer der Vorgabe von Abtragstoleranzen durch den Planer ist das Studium alter Bauweisen (dazu wurde ein früher aufgezeichneter Film gezeigt) und die Einarbeitung in den jeweiligen Stand der Technik erforderlich.

Deutlich waren auch die Über­raschungen bei der Sanie­rung des Massenbergtunnels; den ausgeschriebenen 2.380 m² Abtragsfläche in drei Ab­trags­stufen (bis 9 cm) stehen 32.834 m² abgerechnete Fläche aber in sechs Abtragsstufen (bis 18 cm) gegenüber.


Toleranzen im Tunnel­bau – kleine Ursachen mit großer Wirkung

In Zukunft sind vermehrt Tunnel zu sanieren, bei denen zunächst die Tunnelinnenschale abzutragen und danach eine neue Innenschale einzubauen ist. Die obere und untere Grenzabweichung ergibt zusammen den Toleranzbereich, um die der Tunnelquerschnitt zum Einhalten des Lichtraum­profils größer ausgebrochen werden muss; dabei sind nach den Normen (ÖNORM B2203-1/2 und 2110/2009) Maßtole­ranzen anzugeben – jedoch ohne Feststellen der Verant­wortungsbereiche.

Nach Prof. Dr. Jodl und Dipl.-Ing. Jörg Ehgartner von der TU Wien ist aufgrund der vorliegenden Regelungen in der Projektierungsphase und bei der Ausschreibung besonders darauf zu achten, Maßabwei­chungen festzulegen und den Verantwortungsbereich dazu zwischen dem Auftraggeber (AG) und dem Auftragnehmer (AN) abzugrenzen. Beim Abtrag von bestehenden Innenschalen und Berücksichtigung der Tole­ranzen ist in der Planungsphase zusätzlich auf die Standsicherheit der verbleibenden, bestehenden Innenschale zu achten. Tole­ran­zen aufgrund einer Pla­nungs­variante, z.  B. einer Ab­bruchart, sind dem Verant­wortungs­­be­reich des AN zuzu­rechnen. Nur so kann den ge­forderten Voraus­setzungen ei­ner eindeutigen, voll­ständigen und neutralen Leis­tungsbe­schreibung entsprochen und Streitigkeiten im Rahmen der Bauausführung vermieden werden.


Podiumsdiskussion

Da besonders in Österreich über viele Jahre fast ausschließlich mit der Neuen Öster­reichischen Tunnelbaumethode Tunnel aller Art erfolgreich erbaut wurden, ist die Zeit gekommen nach einem Jahrzehnt des Einzuges der modernen, leistungsfähigen Tunnelvor­triebs­maschinen (TVM) die Frage nach der Zukunft der bewährten Bauweise zu stellen. Dies geschah in einer Podi-
ums­diskussion unter dem Motto: NATM – Quo vadis? Gegenwart und Zukunft der NATM im Bauvertrag.

Unter Leitung von Prof. Dr. Hans Georg Jodl von der Technischen Universität Wien waren fünf prominente Ver­treter des Tunnelbaus aufgerufen, mit kurzen Impuls­referaten die Teilnehmer zur Diskussion anzuregen.

Dipl.-Ing. Dr. Harald Lauffer von Porr Tunnelbau GmbH gab einleitend einen geschichtlichen Rückblick über „Die Entwicklung der NATM“ vom gedanklichen Zugang zum Verständnis der Bau­methode über deren An­fänge und die tragenden Per­sönlichkeiten auch die wesentlichen technischen Aspekte bis hin zur Regelung der Umsetzung im österreichischen Normen­wesen /ÖNORM B2203/1983; B2203-1/2001), womit die Grundlage für die weiteren Bei­träge gesetzt war.

Dipl.-Ing. Nejad Ayaydin vom Ingenieurbüro Geotechnik und Tunnelbau IGT berichtete über die NATM im Bauvertrag aus der Sicht der Planung. Der aktuelle Trend zur Verrechtlichung des Bauwesens und das Streben nach dem fehlerfreien Vertrag sei wenig nutzbringend und kontraproduktiv für die Weiter­entwicklung der NATM. Als besonderes Anliegen wurde die kompetenzgerechte Bestbieter­vergabe an die beratenden In­genieure des Bauherrn hervorgehoben.

Dipl.-Ing. Johann Herdina von der ÖBB Infrastruktur AG bezog Stellung zur Gegenwart der NATM im Bauvertrag aus der Sicht des erfahrenen Bauherrn von Großprojekten (Ausschreibungs-, Vergabe- und Angebotsrealität). Als Voraus­setzung für eine erfolgreiche Bauabwicklung gelten konstruktives Verhalten, Entschei­dungskompetenz, Konzentration auf das Wesentliche und der gegenseitige Respekt der Projektbeteiligten. Danach sollte ein NATM Verhaltenskodex erarbeitet werden.

Dipl.-Ing. Manfred Sachs von ÖSTU-STETTIN Hoch- und Tiefbau GmbH sprach über die NATM im Bauvertrag aus der Sicht der Ausführung und dabei über die Aufblähung der Aus­schreibungs- und Vertragsunter­lagen. Einer der wesentlichen Stärken der NATM ist deren Flexibilität, die Fachkompetenz, Entscheidungsbefugnis und – willen von den Trägern einer schlanken und schlagkräftigen Baustellenorganisation verlangt wird – also eine ernsthaft gelebte „Corporate Tunnelling Responsibility“, die eine aktive, effiziente und innovative Umsetzung des Bauvertrages ermöglicht.

Dipl.-Ing. Manfred Bauer von G. Hinteregger & Söhne Bau­gesellschaft mbH tat einen Blick in die Zukunft der NATM und sieht die kontinuierliche Weiter­entwicklung der Baumethode nicht in Gefahr, vielmehr bedroht die „Zuschüttung“ des Bauvertrages mit rechtlichen und taktischen Themen die vernünftige Abwicklung. Die Zu­kunft der NATM muss in einem fairen und klaren Vertragsfeld liegen, das Innovationen für weitere Entwicklungen der NATM ermöglicht, sowie den kompetenten Baupartnern die praktische Umsetzung der anspruchsvollen Bauaufgabe im respektvollen Miteinander ermöglicht.


Die Diskussionsbeiträge zeig­ten das Interesse, den Bedarf aber vor allem auch den Wunsch, die bewährte Tunnelbaumethode NATM auch in Zukunft weiter entwickeln zu wollen. Einige wichtige Stellungnahmen seien hier verkürzt genannt:

Innovation ist das Treibholz jeder Entwicklung

Am Anfang steht immer ein angemessener, gemeinsam zu erzielender Preis

Der Bauvertrag gehört entschlackt und nicht verdickt

Messbare Kriterien zur Aus­scheidung von Unterangeboten sind festzulegen

Entwicklung eines objektiven rechtssicheren Bestbieter­mo­dells.


Weitere Einzelheiten über den 7. Österreichischen Tunnel­tag enthält Heft 5/2010 Geo­mechanik und Tunnelbau oder unter www.ita-aites.at. Der nächste Österreichische Tunnel­tag wird am 10. Dezember 2012 wieder in Salzburg stattfinden. ⇥G.B.

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