Dr. Klaus Rieker im Gespräch

In Deutschland ist der Bedarf an Ingenieuren größer als das Angebot

Über Markt, Margen und Mineure sprach Journalist Roland Herr für tunnel mit Dr. Klaus Rieker, Bereichsleiter Tunnelbau der Wayss & Freytag Ingenieurbau AG in Frankfurt am Main, Deutschland. Der dreifache Familienvater in den Anfängen der Fünfzig ist seit 1989 im Tunnel- und Tiefbau tätig und blickt auf internationale Erfahrungen im unterirdischen Bauen zurück.

Herr Dr. Rieker, wo lagen denn bislang Ihre Einsatzgebiete im Tunnelbau?

In den rund 25 Jahren meines Berufslebens war ich hauptsächlich in Westeuropa und Asien tätig. Dort vor allem in Taiwan, Singapur und Malaysia.

Und welches war das größte, interessanteste Projekt
in diesem Vierteljahrhundert?

Das ist schwer zu sagen, da sich im Laufe der Zeit der Blickwinkel auf die Projekte geändert hat. Zu Beginn meiner Laufbahn betreute ich nur ein Projekt von der Planung bis zur Übergabe an den Bauherrn und musste mich nur um dieses eine Bauvorhaben kümmern – dafür aber in allen Details. Später erweiterten sich meine Aufgabenbereiche und ich war als Projekt- oder Niederlassungsleiter tätig. Heute ist mein Verantwortungsspektrum viel größer und hat sich hin zum gleichzeitigen Management vieler verschiedener Projekte ausgedehnt. Dies ist sehr erfüllend, da es über die klassischen Bauingenieur-Tätigkeiten hinausgeht.

Trotzdem denke ich manchmal noch mit ein bisschen Wehmut an die Zeit meiner Einsätze bei einzelnen Projekten zurück: insbesondere fällt mir da ein Projekt in Taiwan ein. Da war ich gerade 31 Jahre alt und als Projektleiter vor Ort für die Abwicklung verantwortlich. Die Herausforderung lag in den Besonderheiten der chinesischen Kultur, in der eher ältere Personen als verantwortliche Ansprechpartner erwartet werden. Somit hat es etwas gedauert, bis ich von den Projektverantwortlichen des taiwanesischen Bauherrn als gleichwertiger Gesprächspartner akzeptiert wurde. Auf der Baustelle hatte jeder, vom einfachen Arbeiter bis hin zum Bauherrn, einen Projektleiter eher in meinem jetzigen Alter, also Anfang 50, erwartet. Und dann kam noch die Sprache hinzu: alle Besprechungen mit dem Bauherrn erfolgten mit Übersetzer. Nach Ende der offiziellen Besprechungen ging es auf der Baustelle wieder in Englisch weiter.

Von der Größe des Projektes her war Singapur sehr interessant. Dort haben wir einen Abschnitt einer U-Bahn-Linie in der Innenstadt mit einem koreanischen Partner gebaut. Was ich nie vergessen werde ist die babylonische Sprachenvielfalt dort: Im Projektteam waren rund 30 verschiedene Nationalitäten vertreten, die ich immer wieder zusammenhalten musste. Das macht Spaß, sich dieser Herausforderung im internationalen Tunnelbau zu stellen, mit Menschen aus verschiedenen Ländern, mit
unterschiedlichen Sprachen und teilweise völlig fremd wirkenden Kulturen gemeinsam an der Realisierung eines Projektes zu arbeiten. Dabei musste man die sehr unterschiedlichen Ausbildungen, Fähigkeiten und Mentalitäten unter einen Hut oder auf einen Nenner bringen.

Von der finanziellen Seite her sind die Projekte, die wir in den letzten Jahren in Westeuropa realisiert haben, viel beeindruckender. Hier ist als eines der größten Projekte der Liefkenshoektunnel in Belgien mit fast 700 Millionen Euro Auftragssumme zu nennen.

Wie lange ist Wayss & Freytag schon im Tunnelbaubereich tätig?

Wayss & Freytag ist die Firma, die gemeinsam mit Herrenknecht die Hydroschildtechnik im maschinellen Tunnelbau in Deutschland entwickelt hat. In enger Zusammenarbeit wurde die Konzeptionierung von Hydroschildmaschinen vorangetrieben und in den 1960er Jahren die ersten Hydroschildvortriebe ausgeführt. Seither hat sich Herrenknecht zu einem der führenden Hersteller von Tunnelbohrmaschinen weltweit entwickelt. Auf der anderen Seite hat Robbins im Bereich der Hartgesteins-Tunnelbohrmaschinen den Tunnelbau international vorangetrieben. Wayss & Freytag versucht vor Abgabe von Angeboten für Tunnelprojekte mit verschiedenen Herstellern von Tunnelbohrmaschinen zu sprechen, da die technische Lösung passen muss. Letztendlich müssen die Hersteller ein konkurrenzfähiges Angebot erstellen, da wir als Bauunternehmen die Preise so weiter geben müssen. Es kann jedoch auch mal einen Vortrieb geben, wo eine gebrauchte Maschine passen würde.

Wie hat sich der Tunnelbau aus Sicht eines Unternehmens,
aus Sicht von Wayss & Freytag verändert?

Man sagt ja gerne, die jetzige Zeit ist die schwierigste und früher war alles besser. Sicher ist der Konkurrenzkampf in Europa größer geworden, auch durch die Tatsache, dass weniger Projekte auf dem Markt sind. Und obwohl in Deutschland die Kapazitäten auf dem Bau um die Hälfte heruntergefahren wurden, sind immer noch genügend Firmen und Personen auf dem Markt, die um die wenigen Aufträge erbittert kämpfen. Obwohl die Transparenz von Projekten immer größer wird, wird die Realisierung von Großprojekten und die Anerkennung in der Öffentlichkeit immer schwieriger. Die Vertragskonstellationen von Infrastrukturprojekten werden auch immer mehr so gestaltet, dass sich die Risikoverteilung zu Lasten der Auftragnehmer verschiebt. Die Wahrscheinlichkeit, ein Projekt mit Gewinn abzuschließen, wird somit eher geringer.

Im Ausland, zum Beispiel im englischsprachigen Raum, gibt es größtenteils andere Vertragsmodelle als in Deutschland, womit die Risiken eines Bauprojekts anders beziehungsweise fairer zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer verteilt werden.

Schlagen wir einmal den Bogen von der Maschine zum Menschen. Ist es schwer, erfahrene, gute Tunnelbauer zu bekommen?

Eigentlich möchte ich dieses Problem nicht nur auf den Tunnelbau, sondern auf den Ingenieurbau ganz allgemein beziehen. So haben wir in Deutschland einen höheren Bedarf an Bauingenieuren als derzeit von den Hochschulen Absolventen abgehen. Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren immer mehr zugespitzt, sodass sich heute ein Bauingenieur-Absolvent das Unternehmen aussuchen kann, bei dem er arbeiten möchte. Das war nicht immer so: bis vor ein paar Jahren konnten wir uns die zukünftigen Ingenieur-Mitarbeiter aussuchen, und heute ist es eher umgekehrt. Was allerdings heute zunehmend zum Problem wird ist die Tatsache, dass die Mitarbeiter besonders im Tunnelbau noch flexibler sein müssen. Das heißt, dass die Einsatzorte über Deutschland, Europa, ja sogar Übersee hin verteilt sein können. Die Mitarbeiter müssen bereit sein, mitzugehen. Heute stellen wir zunehmend fest, dass viele Bewerber fest in Partnerschaften verankert sind, bei denen der andere Partner auch eine interessante und lukrative Tätigkeit ausübt und so die Bereitschaft, ins Ausland zu gehen, stark nachlässt.

Für mich persönlich war und ist der Tunnel- und Tiefbau, der Infrastrukturbau, ein sehr spannendes Betätigungsfeld mit sehr großen Herausforderungen. Man muss sich doch immer wieder auf wechselnde Geologien, unterschiedliche Rahmenbedingungen auf der Baustelle und die Besonderheiten des Projektes einstellen. Gerade der Auslandsbau und der damit verbundene Umgang mit verschiedenen Nationalitäten, Mentalitäten, Menschen, fremden Kulturen und teilweise ganz anderen Lebens- und Arbeitsweisen ist das Interessante an diesem Betätigungsfeld. Es ist faszinierend, wenn man erst einmal Teil der Tunnelbau-Familie ist und über sein Berufsleben verteilt auf der ganzen Welt immer wieder bekannte Gesichter bei neuen Projekten trifft.

Wie hoch ist eigentlich der Anteil an Eigenleistung
bei Wayss & Freytag?

Bei uns im Tunnelbau ist es generell so, dass die aus dem eigenen Unternehmen erbrachte Leistung relativ hoch ist. Das fängt bereits bei der Planung an – die Tübbingplanung zum Beispiel, die Berechnung der Stützkräfte an der Ortsbrust, die Planungen für temporäre Maßnahmen beim Anfahren der TBM oder dem Auffahren von Querschlägen. Bei der Ausführung folgen wir der bewährten Philosophie von Wayss & Freytag, Schlüsselpositionen mit eigenen Mitarbeitern zu besetzen. Auch bei ausländischen Bauvorhaben kommen unsere Stammmitarbeiter zum Einsatz. Nur für nachgeordnete Tätigkeiten werden örtliche Arbeitskräfte eingesetzt. Dadurch haben wir Teams im Einsatz, die eingespielt sind und gerade in der Anlaufphase eines Projektes schnell Leistungen und damit die geforderte Qualität erbringen.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

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