Interview

Prof. Jenny Yan über den Tunnelbau in China

Professorin Jinxiu (Jenny) Yan ist die derzeitige Vizepräsidentin der ITA, Vizepräsidentin der chinesischen Gesellschaft für Tunnel- und Tiefbauarbeiten CCES (China Civil Engineering Society) und stellvertretende Geschäftsführerin der China Railway Academy Co., Ltd. Sie ist schon seit über 30 Jahren in der Tunnelbaubranche tätig. Als Teamleiterin für Forschung, Beratung und Planung war sie an den anspruchsvollsten Bauprojekten für Eisenbahn-, Straßen-, U-Bahn- und Wassertunnel in China, Malaysia, Laos, Nepal und Marokko beteiligt.

China ist einer der weltgrößten Märkte im Bereich Tunnelbau. Könnten Sie bitte die derzeitige Situation in China allgemein erläutern?

Ende 2017 verfügte China über Bahnstrecken mit einer Gesamtlänge von 127 000 km, darunter 25 000 km für Hochgeschwin­digkeitszüge. Auf diesen Strecken gibt es 14 700 Tunnel von ins­gesamt 15 781 km Länge. Zudem wurden in China 4,77 Mio. km Fernstraßen gebaut, von denen 136 000 km auf Schnellstraßen entfallen. Und es gibt 16 281 Straßentunnel mit einer Gesamt­länge von 15 240 km.

Der öffentliche Personenverkehr nimmt in China immer weiter zu, in den letzten Jahren sogar sehr rasant. Dieses Wachstum ist natürlich nichts Neues. In chinesischen Städten sind in den vergangenen Jahrzehnten viele Nahverkehrsnetze entstanden und ausgebaut worden. Ende 2017 gab es 165 Stadtbahnlinien in 34 Städten, die insgesamt 5033 km lang sind und von denen 3884 km unterirdisch verlaufen. Fast alle Großstädte Chinas verfügen über ein Stadtbahnsystem; oder zumindest ist eines im Bau oder in Planung.

In den letzten fünf Jahren hat die Anzahl der in Betrieb genommenen Verkehrstunnel stark zugenommen; wir reden hier von jährlich 1400 km Bahntunnel und 1000 km Straßentunnel. Im Jahr 2016 wurden U-Bahnstrecken von 760 km Länge in Betrieb genommen und 2017 waren es 889 km. Insgesamt waren Ende 2017 Verkehrstunnel mit einer Gesamtlänge von 36 103 km in Betrieb. Ganz zu schweigen von der Vielzahl an Tunneln für Wasserkraftwerke, Wasserleitungen, Stromversorgung und andere Zwecke. Alle Tunnel Chinas zusammengenommen, kommt man auf 45 000 km Länge. Aktuell befinden sich Tunnel von etwa 20 000 km Länge im Bau, und weitere 20 000 km sind in der Planungsphase.

Möchten Sie mehr internationale Unternehmen ins Land holen?

Der Fortschritt, den wir im Tunnelbau in China erlebt haben, wäre ohne das Wissen, den Erfahrungsaustausch und die große Unterstützung der internationalen Tunnelbaubranche gar nicht möglich gewesen. Viele internationale Unternehmen haben dazu einen enormen Beitrag geleistet, wie z. B. die TBM-Hersteller, Gerätebaufirmen für Bohr- und Sprengtechnik, Materiallieferanten, Zulieferer von technischen Geräten sowie internationale Beratungsfirmen.

Mittlerweile tragen auch die in China entwickelten Tunnelbautechnologien wesentliche zur internationalen Tunnelbaubranche bei. Die schiere Anzahl chinesischer Tunnelbauprojekte ist enorm, und die dabei gemachten Erfahrungen und gewonnenen Erkenntnisse aus den letzten 40 Jahren waren sehr kostspielig und sind nun für all jene Länder wertvoll, die ähnliche Projekte in Angriff nehmen wollen. Wir sind dazu bereit, diese Erfahrungen auf internationaler Ebene in Konferenzen, Symposien, Workshops und über andere Medien zu teilen, weil auch wir in der Vergangenheit viel Hilfe erhalten haben.

Können Sie uns einige Leuchtturmprojekte vorstellen?

Der Queershan Tunnel, ist beispielsweise ein Straßentunnel, bei dessen Bau aufgrund seiner Lage in einer kalten Hochgebirgsregion viele technische Probleme bewältigt werden mussten. Die Staatsstraße 317 (G317) wurde 1951 gebaut und dient als wichtiger Transportweg zwischen Tibet und China. Weil es aber entlang dieser Strecke über zehn Monate im Jahr schneit und Naturkatastrophen wie Lawinen und Murgänge keine Seltenheit sind, gilt der Abschnitt Queershan Mountain auf der G317 als „die gefährlichste Straße Chinas“.

Das Projekt besteht aus einem 7079 m langen Haupttunnel und einem 7108 m langen Pilottunnel auf 4378 m Höhe über dem Meer. Nach dem Projektstart dauerte es 15 Jahre bis zur Fertigstellung. Im September 2017 wurde er für den Verkehr freigegeben. Fahrzeuge können den Queershan Tunnel in nur zehn Minuten passieren und müssen nicht mehr die mehr als zweistündige Fahrt über die gefährlichen Gebirgsstraßen auf sich nehmen.

Eisenbahntunnel, die Gebirge durchkreuzen und damit Reisezeiten verkürzen, spielen eine wichtige Rolle beim Ausbau des chinesischen Schienennetzes. Der sagenhafte Neue Guanjiao Tunnel ist ein typisches Beispiel. Der 32,7 km lange Tunnel ist ein Schlüsselbauwerk für die zweite Linie der Qinghai-Tibet-Bahn auf dem Streckenabschnitt zwischen Xining und Golmud. Er ist der längste Eisenbahntunnel in China. Vor seiner Inbetriebnahme im Jahr 2014 mussten die Züge über den Berg Qinghai Nanshan klettern, was sehr viel Zeit in Anspruch nahm. Durch den neuen Tunnel verringert sich die Reisezeit auf diesem Abschnitt von über zwei Stunden auf nur 20 Minuten. Das hat der wirtschaftlichen Entwicklung in der Provinz Qinghai und in der Autonomen Region Tibet einen enormen Schub verliehen.

China und Usbekistan haben ihr erstes gemeinsamen Eisenbahntunnelbauprojekt erfolgreich beendet und dabei einige Schwie­rigkeiten bewältigt. Der Qamchiq Tunnel in Usbekistan ist der längste Bahntunnel in Zentralasien. Er wurde im Juni 2016 fertiggestellt und in Betrieb genommen. Der 19,2 km lange Tunnel durchquert das Qurama-Gebirge und gehört zur 169 km langen Eisenbahnstrecke zwischen Angren und Pop, einem Großprojekt des Landes Usbekistan, das die Hauptstadt Taschkent mit der Stadt Namangan im Osten verbinden soll. Die Reisezeit auf diesem Abschnitt hat sich durch den Tunnel von 2,5 Stunden auf nur 17 Minuten reduziert. Der Bau der Strecke Angren-Pop war ein schwieriges Projekt. Dennoch hat es nur 900 Tage in Anspruch genommen und wurde fast 100 Tage früher als geplant fertig.

Was ist Ihrer Meinung nach nötig, um chinesische Tunnelbauingenieure auf internationale Projekte vorzubereiten?

In naher Zukunft werden etwa 20 000 Tunnelkilometer gebaut werden. Die meisten davon sind sehr anspruchsvoll, nicht nur wegen ihrer Größe – beispielsweise extreme Längen, große Überdeckungshöhen, große Durchmesser –, sondern auch wegen der vielfältigen Bedingungen, wie die Durchörterung aktiver Verwerfungen, Permafrost, hohe Felstemperaturen, Tunnelbau in unbewohnten Gegenden usw. China braucht noch mehr Hilfe und Beteiligung von internationalen Tunnelbauunternehmen, um diese Herausforderungen meistern zu können.

Welche Ziele verfolgen Sie und die Tunnelbaubranche Chinas in der Zukunft?

Den ersten Kontakt zur ITA hatte ich 1990, also vor fast 30 Jahren. Mit ist die hohe Bedeutung des Austauschs und der Kooperation auf internationaler Ebene sehr stark bewusst. Auf diesem Gebiet spielt die ITA eine wichtige Rolle. Ich bin seit vielen Jahren der „Tunnel“, der die Tunnelbaubranche Chinas mit der ITA verbindet.

Alle zwei Jahre findet die Chinese Tunnel and Underground Works Conference (CTUC) statt. Bei den beiden letzten Tagungen wurden die internationalen Teile von der CCES (China Civil Engineering Society) und der ITA gemeinsam organisiert. 2016 hielten fünf aktuelle und ehemalige Präsidenten der ITA Vorträge und 2018 wurden bedeutende Projekte aus der ganzen Welt vorgestellt. Die CTUC ist sehr schnell gewachsen. Für die kommende CTUC 2020 werden 2000 Teilnehmer erwartet. Zugleich wird die CTUC 2020 eine voll und ganz internationale Konferenz werden.

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