Kanzlerlinie in Berlin

Planung und Bau der Kanzlerlinie in Berlin/D

Im August 2009 wurde in der deutschen Hauptstadt Berlin der neue U-Bahn-Abschnitt zwischen dem Hauptbahnhof und dem Pariser Platz, das erste ca. 1,9 km lange Teilstück der so genannten Kanzlerlinie U5, in Betrieb genommen. Als vorläufig letztes Bauwerk ­wurde der Bahnhof Brandenburger Tor erstellt. Dieses Bauwerk ist bereits Teil des 2. Planfest-stellungsabschnitts bis zum Berliner Rathaus, dessen Änderungspläne zur Genehmigung ­vorliegen.

1 Einleitung

Am 8. August 2009 wurde von den Berliner Verkehrsbetrieben der neue U-Bahnab-schnitt zwischen dem Hauptbahnhof und dem Pariser Platz in Betrieb genommen (Bild 1). Hiermit ist das erste ca. 1,9 km lange Teilstück der so genannten Kanzlerlinie U5 fertig gestellt worden. Als vorläufig letztes Bauwerk wurde der Bahnhof Brandenburger Tor erstellt. Dieses Bauwerk ist bereits Teil des 2. Planfeststellungsabschnitts bis zum Berliner Rathaus, dessen Änderungspläne zur Genehmigung vorliegen (Bild 2).


2 Bahnhof Brandenburger Tor

Die Baufelder für das Bahnhofsbauwerk lagen in unmittelbarer Nähe zum Pariser Platz mit dem Brandenburger Tor, dem Hotel Adlon und ­weiteren bedeutsamen und z.   T. historischen Bauwerken im Straßenraum der Straße „Unter den Linden“.

Zur Minimierung der Anwohnerbeeinträchtigung in dem touristisch hoch erschlossenen Bereich der Neuen Mitte Berlins waren als Vorgaben für die Planung und Umsetzung geeignete bergmännische Bauweisen zu berücksichtigen. Dies wurde bereits im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens 1999 entsprechend vorgesehen. Diese Vorgaben führten dazu, dass das Bahnhofsbauwerk aus 4 Bauteilen besteht:

■ die 2 Aufgangsbauwerke am Ost- und Westkopf des Bahnhofs (ca. 25 x 25 m), die in offener Bauweise in z. T. abgedeckelten und dichten Schlitzwandbau-gruben mit Aushubtiefen von 23 m erstellt wurden,

■ der Bahnsteigbereich, der aus der Baugrube des östlichen Aufgangsbauwerks in bergmännischer Bauweise im Schutze einer Baugrundvereisung aufgefahren wurde und

■ die ca. 6 m langen eingleisigen Anschlussbauwerke an die bestehenden Tunnelröhren, die in bergmännischer Bauweise im Schutz von dichtenden Frost-körpern in einem DS-Körper aufgefahren wurden.

Durch die überwiegend bergmännische Bauweise wurden die Beeinträchtigungen an der Oberfläche minimiert und die wesentlichen Straßenverkehrsbeziehungen insbesondere im Kreuzungsbereich Unter den Linden und Wilhelmstraße während der Bauzeit aufrechterhalten.

Das Bahnhofsbauwerk hat eine Gesamtlänge von ca. 150 m, wobei der bergmännisch aufzufahrende Bahnsteigbereich eine Länge von 92 m hat. Der Gewölbequerschnitt hat eine Fläche von ca. 180 m2 und wurde mit 2 Stützenreihen als dreischiffiger Querschnitt ausgebildet. Die Gradiente im Bahnhofsbereich steigt von Ost nach West mit 1,5 ‰ nur gering an, so dass die Überdeckung bei der nahezu horizontalen Oberfläche über die gesamte Länge ca. 9,5 m beträgt.

Der neue U-Bahnhof liegt unmittelbar neben der Nord-Süd S-Bahn und bietet über die gemeinsame Verteilerebene (Bild 3) auf der Westseite die Umsteigemöglichkeit zwischen S- und U-Bahn.


3 Geologie und Hydrologie

Die Baustelle liegt im Bereich des Berliner Urstromtals, einem der Hauptabflusswege der Schmelzwässer in der Weichselkaltzeit. Typisch für dieses Gebiet sind die unter der vorhandenen Bebauung sowie den Auffüllungen anstehenden z. T. mehr als 70 m mächtigen, aus Sanden und z. T. Kiesen unterschiedlicher Kornfraktionen bestehenden pleistozänen Ablagerungen, in die gemäß der im Vorfeld umfangreich durchgeführten Baugrunderkundungen stellenweise Grobgeschiebe (Steine und Blöcke, Geröllschichten) eingelagert sein können.

Bereichsweise können in diese sandig-kiesigen Schichten bindige Geschiebemergelreste der weichsel- und saalekaltzeitlichen Grundmoränen eingeschaltet sein, die überwiegend schluffigtonig ausgebildet sind. Im Bereich der Spreeniederung sowie des Spreekanals können lokal Faulschlämme sowie organisch durchsetzte Sande und Schluffe (Mudden) auftreten. Örtlich treten organische Füllungen subglazial angelegter Rinnen, bestehend aus stark zersetzten Torfen und Torfmudden sowie kalkhaltigen Faulschlamm- oder Kalkmudden auf.

Der höchste zu erwartende Grundwasserstand wurde ca. 2 m und der niedrigste Wasserstand ca. 5,5 m unterhalb der Geländeoberkante gemessen. Im gesamten Baubereich wurde keine signifikante Grundwasserströmung, die insbesondere im Hinblick auf die künstliche Bodenvereisung von Bedeutung sein könnte, festgestellt.


4 Bemessungs- und Sicherheitskonzept des Bahnsteigbauwerks

Da die bergmännische Bauweise im Schutze einer Vereisung in diesem Umfang zum ersten Mal in Berlin umgesetzt wurde, ist im Rahmen der Planung des gesamten Planfest-stellungsabschnitts bis zum Alexanderplatz – bereits 1998 – ein entsprechend hohes Sicherheitsniveau definiert worden.

Als geschlossenes, wasserdichtes und temporär statisch tragfähiges Konstruktionselement wurde für die bergmännische Herstellung des Bahnhofs Brandenburger Tor der Aufbau eines Frostkörpers geplant, der statisch so zu bemessen war, dass über einen definierten Zeitraum bis zur Erhärtung der Spritzbetonschale der volle Erd- und Wasserdruck durch den Frostkörper aufgenommen werden konnte. Nach Erhärtung der Spritzbetonschale wird der volle Erd- und Wasserdruck durch die Spritzbetonschale aufgenommen. Der Forstkörper hatte nur noch dichtende Funktion. Das endgültige Bauwerk wird als WU-Konstruktion gegen den vollen Erd- und Wasserdruck bemessen.

Auf Grundlage dieses Sicherheits- und Bemessungskonzeptes waren die Bauabschnitte des bergmännischen Vortriebs so zu planen, dass in jedem Bauzustand das zuvor genannte Sicherheitskonzept umgesetzt wurde. Der prinzipielle Bauablauf ist in Bild 4 dargestellt.


5 Bauverfahren

Der Bauablauf gem. Bild 4 erfordert die Verknüpfung unterschiedlicher Spezialtiefbau- und Tunnelbauverfahren.


5.1 Mikrotunnelvortrieb

Zum Aufbau des Frostkörpers müssen Vereisungslei-tungen horizontal in den Baugrund eingebracht werden. Horizontale Kleinbohrungen wurden verworfen, weil die erforderliche Genauigkeit bei den vorhandenen Haltungslängen von ca. 95 m nicht gesichert werden konnte. Zur Anwendung kamen 30 Mikrotunnel mit einem Durchmesser von ca. 1,5 m mit einer Gesamtvortriebslänge von rd. 2,7 km. In diesen Mikrotunneln erfolgte anschließend der Einbau der Gefrierrohre.

Die Mikrotunnel wurden mit 2 TVM mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust gegen den anstehenden Wasserdruck von bis zu 2 bar aus den beiden Baugruben heraus aufgefahren. Das Schneidrad wurde so bestückt, dass Hindernisse wie Steine und Blöcke mit Durchmessern von 40 cm durchfahren werden konnten. Für die Bergung größerer Hindernisse war die händische Bergung durch das Schneidrad vorgesehen. Von dieser Möglichkeit musste bei keinem der 30 Mikrotunnelvortriebe Gebrauch gemacht werden.

Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Planung der Mikrotunnelvortriebe durch die Baugrubenwände. Hierbei war zu berücksichtigen, dass die Mikrotunnel aus Sicherheitsgründen von unten nach oben aufgefahren wurden, um die Zugänglichkeit von der Oberfläche bei Vortriebsproblemen sicherstellen zu können. Hierfür war es erforderlich, die Baugruben zuerst bis zur Endteufe auszuheben und dann die Vortriebe durchzuführen.


5.2 Schlitzwände mit GFK-Bewehrung

Ein Hauptaugenmerk der Baugrubenplanung lag daher auf der Planung der Anfahrvorgänge durch die Schlitzwände. Zu beachten ist, dass bereits die Aushubzustände infolge der hoch anstehenden Grundwässer, der Erddruckbeanspruchung aus den vorbelasteten Böden und die Anforderungen an einen verformungsarmen Verbau zu hohen Bewehrungsgraden von bis zu 160 cm²/m je Seite führten. Bei Verwendung normaler Betonstahlbewehrung sind die Mikrotunnelmaschinen, die für den Betrieb im Lockergestein ausgerüstet sind, nicht in der Lage, diese Bewehrungsmengen zu durchfahren. Die Bewehrung hätte somit vor dem Vortrieb händisch entfernt bzw. die Tunnelspuren bewehrungsfrei gehalten werden müssen. Dies wäre bei dem anstehenden Wasserdruck nur mit aufwändigen Zusatzmaßnahmen umsetzbar gewesen.

Von daher wurde hier der Einbau von glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) als erd- und luftseitige Bewehrung in den Anfahrbereichen vorgesehen (Bild 5). Hierfür war aufgrund der fehlenden allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung eine Zulassung im Einzelfall (ZiE) erforderlich. Bei den nachfolgenden 30 Mikrotunnelanfahrten durch die Schlitzwände traten keine Schwierigkeiten mit dem Durchfahren der Bewehrungskörbe auf. Die Bewehrungsspäne wurden nach der Separation wiedergefunden (Bild 6).


5.3 Baugrundvereisung und bergmännischer Vortrieb

Die prinzipiellen Anforde-rungen an die Bemessung und Planung des Vereisungskörpers als geschlossenes, wasserdichtes und temporär statisch tragfähiges Konstruktionsele-ment, den bergmännischen Vortrieb mit Spritzbetonsicherung sowie das baubegleitende Messprogramm zur Prüfung der Qualität des Frostkörpers wurden bereits umfangreich vorgestellt. Hierauf wird verwiesen (Literatur).

Nach Auffahren der 30 Mik-rotunnelvortriebe und Aufbau der Vereisungsanlage erfolgte die Installation der Gefrierrohre und der erforderlichen Mess-technik in den 30 Mikrotunneln. Nach erfolgter Druckprüfung des Systems wurden die Mikro-tunnel verdämmt.

Die Baugrundvereisung begann mit der ersten Beauf-schlagung der Gefrierrohre in den wassergefüllten Mikrotunneln im Februar 2007. Der Ringschluss um den Mittelstollen konnte nach ca. 8 Wochen hergestellt werden. Dies wurde durch das Anspringen der installierten Druckmessgeber und Pegelstandleitungen angezeigt. Ca. 3 Monate nach Einschalten der Gefrieranlage wurde die statisch erforderliche Dicke des Frostkörpers erreicht, so dass mit den Vortriebsarbeiten des Mittelstollens begonnen werden konnte. Die Steuerung der Vereisung und damit des Frostkörpers wurde ab diesem Zeitpunkt vom Aufgefrierbetrieb in den intermittierenden Haltebetrieb umgeschaltet.

Nach Aufgefrieren des Frostkörpers wurde der Bahnhofsquerschnitt in Teilquerschnitten von der Ostbaugrube aus aufgefahren. Wie in der Planung vorgesehen, war der Frostkörper in den Ausbruchsquerschnitt herein gewachsen (Bild 7). Temperaturmessungen im Ausbruchquerschnitt zeigten stellenweise deutlich Temperaturen im Bereich unterhalb der Frostgrenze. Unmittelbar an der Oberfläche der Ortsbrust taute der Sand jedoch aufgrund der Umgebungstemperaturen von ca. 20 °C bis 25 °C schnell an. Der Berliner Sand hat sich nach der vorlaufenden Entwässerung als standfest im Zuge des bergmännischen Vortriebs herausgestellt.

Nach dem Einbau der Tunnel-schale im Mittelstollen erfolgte das bergmännische Auffahren der Seitenstollen. Hierbei mussten die Mikrotunnel im Kernbereich zurückgebaut werden. Zur Vereinfachung des Rückbauvorgangs wurden die Mikrotunnel – nach einem Sondervorschlag der Arge U55 – mit Wasser gefüllt und vereist. Somit konnte in der Rückbauphase die Wasserfüllung aktiv aufgetaut werden und die Rohre von innen in Segmente geschnitten und segmentweise rückgebaut werden (Bild 8).

Im Sommer 2008 war der gesamte bergmännische Vor-trieb inkl. Einbau des Tunnelbauwerks abgeschlossen und der Haltebetrieb des Frostkörpers wurde eingestellt. Das  Temperaturmessprogramm und die begleitenden Oberflächenmessungen wurden jedoch bis zum vollständigen Auftauen des Frostkörpers fortgeführt. Dieser Auftauzeitpunkt wurde mit dem Überschreiten der Frostgrenze in allen Messpunkten definiert.

Wie in den Temperaturverläufen (Bild 9) erkennbar ist, war dieser Auftauprozess erst Ende 2009 abgeschlossen. Die lange Auftauphase ist begründet durch die geringe Fließgeschwindigkeit des Grundwas-sers. Die sich hieraus ergebenden besonderen Umgebungstemperaturen waren beim Aus-
bau des unterirdischen Bahnhofsbauwerks zu berücksichtigen. Aufgrund des hohen Temperaturgradienten kam es zu Tauwasserbildung im Bahnsteigbereich, der durch permanente mechanische Belüftung während der Ausbauarbeiten begegnet wurde.


6 Ausblick

Nach Inbetriebnahme des ersten Abschnitts werden nun die Planungen für den Weiterbau fortgeführt, so dass ab 2010 mit den Rohbauarbeiten begonnen werden kann. Vorlaufende Arbeiten wie archäologische Sicherungen und Leitungsumlegungen haben bereits begonnen. Hierbei werden ebenfalls wieder umfangreiche Spezialtiefbau- und Tunnelbauverfahren zur Anwendung kommen. Die gewonnenen Erfahrungen beim Bau des Bahnhofs Brandenburger Tor werden hierbei eine wesentliche Grundlage bilden.

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