Österreich

Brenner Basistunnel: Aktueller Stand

Am Projekt Brenner Basistunnel werden derzeit die Erkundungsstollenabschnitte gebaut und demnächst die übergeordnete Leitplanung (guide design) für den Haupttunnel begonnen. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über den Stand der Arbeiten.

1 Die TEN-Achse von Berlin nach Palermo
Das grenzüberschreitende europäische Prioritätsprojekt TEN-Projekt Nr. 1 stellt eine etwa  2200  km lange Eisenbahn-Hochleistungsstrecke zwischen Berlin/D und Palermo/I dar. Im Abschnitt zwischen Berlin und Neapel/I sind auf einer Länge von über 1600 km bereits ¾ in Bau oder in Betrieb.
Der südliche Abschnitt zwischen Verona und Neapel wurde nun vollständig mit dem letzten Teilstück zwischen Bologna und Florenz im Dezember 2009 in Betrieb genommen. Von Verona nach Franzensfeste wurden 5 prioritäre Abschnitte definiert. Dabei handelt es sich um die Einfahrt nach Verona und die unterirdische Umfahrung von Trient und Rovereto. Für den Abschnitt im Südtiroler Unterland wurden die ersten geologischen Studien, die Machbarkeitsstudie und die Trassenfindung abgeschlossen. Auch die Stadt Bozen soll mit einem etwa 14 km langen Tunnel umfahren werden. Ein wichtiger Abschnitt ist die Strecke zwischen Waidbruck/Ponte Gardena und Franzensfeste/Fortezza. Die Bestandsstrecke weist dort eine Steigung von 23 ‰ auf.
Im Bahnhof Franzensfeste beginnt der 55 km lange Brenner Basistunnel [1]. Die neue Eisenbahnverbindung bindet in die bestehende Umfahrung von Innsbruck ein, womit eine 62,5 km lange unterirdische Tunnelverbindung entsteht. Die Umfahrung bei Innsbruck mündet in die 41 km lange Unterinntaltrasse zwischen Baumkirchen und Kundl ein. Diese soll im Jahre 2012 fertig gebaut und in Betrieb gesetzt werden.
Zur politischen Unterstützung eines zeitgerechten Aus-baus und zur Durchsetzung der rahmenpolitischen Maßnahmen für eine Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene wurden von allen 3 Mitgliedsstaaten am 18. Mai 2009 in Rom ein Aktionsprogramm unterschrieben, das von den 3 Mitgliedsstaaten, den 5 betroffenen Regionen und den Bahnbetreibern zeitgerecht umgesetzt werden muss (Bild 1).


2 Derzeitige Kenntnis der Geologie – Hydrogeologie
Der geplante Brenner Basistunnel führt in seiner Gesamt-länge geografisch durch den zentralen Bereich der Ostalpen, geologisch hingegen durch das empor gewölbte Zentrum der Kollisionszone der europäischen und adriatischen (afrikanischen) Platten, die in Form mehrerer übereinander gestapelter De-cken vorliegen. Der Tunnel quert dabei das Tauernfenster, das infolge der angesprochenen Emporwölbung Einblick in den tieferen Krustenbereich der Ostalpen gewährt. Die großtektonischen Einheiten entlang der gesamten Tunneltrasse sind von Norden nach Süden das Unter-ostalpin, die penninischen Decken des Tauernfensters, eine schmale Zone mit Oberostalpin und tertiären Intrusivgesteinen im S des Tauernfensters und das Südalpin (Bild 2).
Betrachten wir nun die geradlinige Wegführung des Tunnels von Innsbruck (km 0) bis nach Franzensfeste (km 55).

Innsbrucker Quarzphyllite bis Km 14
– Im Bereich der Innsbrucker Quarzphyllite wird nördlich des bestehenden Umfahrungstunnels von Innsbruck ein neuer Rettungsstollen mit ca. 5,3  km Länge gebaut.
– 0 bis Km 14: Unterostalpin/Innsbrucker Quarzphyllitzone
Analog zum Inntaltunnel wird außerhalb von Störzonen nachbrüchiges Gebirgsverhalten erwartet, welches mit zunehmender Überlagerung in Scherversagen und bei Annäherung an das Tauernfenster zu Druckerscheinungen über geht. Entscheidend beeinflusst wird das Gebirgsverhalten von den Störungszonen. Die gering mächtigen querschlägig verlaufenden Störungen wirken sich untergeordnet aus. Kritisch sind die spitzwinkelig verlaufenden Wipptal-Abschiebungen und die vermutete mächtige Ahrentalstörung, die Westfortsetzung der im Inntaltunnel durchörterten mächtigen Lavierental-Störung.
In der Innsbrucker Quarzphyllitdecke gibt es kein bedeutendes Fließsystem. Nur in den Hauptstörungen können höhere Durchlässigkeiten auftreten, womit aber wenig bedeutende Fließsysteme verbunden sind.
Km 14 bis 28,5
– Km 14 bis 19: Nordrahmenzone des Tauernfensters
Die Verhältnisse sind stark wechselhaft, sie sind nachbrüchig und neigen zu einem Scherversagen. Die Anhydrit führenden Lagen sind auf Zentimeter-Bereiche begrenzt und daher nicht maßgebend. Allerdings sind größere Schollen von Anhydrit, Dolomit, etc. nicht auszuschließen. Neben der voraussichtlich 50 m mächtigen Mislkopf-Tauernnordrandstörung bedingen die spitzwinkelig verlaufenden Störungen der Nord-Süd streichenden Abschiebungen nachhaltige Druckerscheinungen.
– Km 19 bis 28,5: Glocknerdecke
Im südlichen Bereich ist bei Antreffen von vermehrten Schwarzphylliten leicht druckhaftes Gebirge zu erwarten, während in den Anhydriten keine hohen Schwelldrücke auftreten werden.
Hydrogeologisch geht die Innsbrucker Phyllitdecke durch einen hydrogeologisch unbedeutenden, duktilen tektonischen Kontakt in die Glocknerdecke über. Die Glocknerdecke besteht aus Bündnerschiefern, die abwechselnd von kalkreichen und kalkarmen Bündnerschiefern gebildet sind. Innerhalb der Bündnerschiefer sind lokal Dolomit, Quarzite, Anhydrite, Grauwacken und Serizitschiefern vorhanden.
Die mit den kalkreichen Bündnerschiefern verbundenen Durchlässigkeiten sind bei der Abwesenheit von Lösungsphänomenen gering. Mit dem kalkarmen Bündnerschiefer ist eine niedrige bis sehr niedrige Durchlässigkeit verbunden. An den Hauptstörungszonen können die Durchlässigkeiten eine erhebliche Zunahme erfahren. Das kann im kalkreichen Bünd-nerschiefer auftreten, da sich in den Schadenszonen Stellen mit chemischen Ablösungen bilden. Das Vorhandensein von bedeutenden Fließsystemen auf Tun-nelniveau in der Zone der Durchquerung solcher Einheiten kann ausgeschlossen werden.

Km 28,5 bis 36
– Km 28,5 bis 30,3: Untere Schieferhülle nördlich des Tuxer Zentralgneiskerns
Dieser Abschnitt ist von wechselhaften Gebirgsverhältnissen geprägt. Es ist überwiegend mit Scherversagen und tiefreichender Entfestigung sowie mit starkem Wasserzutritt zu rechnen. Örtlich können Anhydrit-Auslaugungen und Materialaustrag auftreten, welche rolliges Gebirge bedingen.
– Km 30,3 bis 36: Zentralgneis – Brennergrenze
Der Zentralgneis dürfte generell standfest sein, es ist jedoch mit Kluftkörperablösungen zu rechnen. Im Bereich der Olperer Störungen sind Druckerscheinungen zu erwarten, ansonsten dürften die Störungen das Gebirgsverhalten nicht maßgeblich beeinflussen.
Nach Süden gehen die Bündnerschiefer der Glocknerdecke durch eine Schuppenzone in die Untere Schieferhülle über. Diese Einheit besteht, von oben nach unten, aus Gesteinen der sedimentären, permo-mesozoischen Bedeckung, die verschieden verfaltet aus Schiefern, Metakarbonaten und untergeordneten evaporitischen Gesteinen und aus Zentralgneis gebildet wurde. Die sedimentären Bedeckungen weisen variable Durchlässigkeitseigenschaften auf und können auch Fließsys-teme umfassen. Mit dem Zentralgneis im Brennerbereich sind keine Fließsysteme verbunden, da seine Durchlässigkeit gering ist. Mittlere Durchlässigkeiten treten nur in Störungszonen auf.

Km 36 bis 40,5
– Km 35,9 bis 37,2: Untere Schieferhülle der Pfitscher Synform
Die Wechselfolgen der Gebirgsarten und deren Variabilität erschweren die Charakterisierung des Gebirgsverhaltens, welches überwiegend durch Scherversagen bestimmt wird. Die querverlaufenden Störzonen verstärken ein mögliches Scherversagen.
– Km 37,2 bis 40,5: Glockner Decke der Pfitscher Synform
Die Bündner Schiefer weisen unterschiedliches Verhalten auf, welches von gefügebedingten Ausbrüchen bis stark druckhaft reicht. Dieses Verhalten dürfte auf kurze Bereiche und die Störzonen beschränkt sein.
Hydrogeologisch gibt es in Gneisen zwischen dem Brenner und dem Pfitschertal kein bedeutendes Fließsystem. Ein bedeutenderes Fließsystem könnte sich an der Grenze zwischen dem Gneis und der aufliegenden Glocknerdecke (Bündnerschiefer) befinden.

Km 40,5 bis 47,5
– Km 40,5 bis 43: Untere Schieferhülle/Zentralgneis
In diesem Abschnitt können gefügebedingte Ausbrüche auftreten.
– Km 43 bis 45,4: Glockner Decke
Die Bündner Schiefer verhalten sich südlich der Hochwölbung ähnlich wie nördlich davon; das höhere Spannungsniveau kann zu stärkeren Druckerscheinungen führen.
N Km 45,4 bis 47,5: Oberostalpines Kristallin
Im Ostalpin werden gefügebedingte Ausbrüche und hohlraumnahes Festigkeitsversagen sowie eine Großstörung erwartet.
Südlich des Pfitschertals sind die hydrogeologischen Komplexe um die große Tulver-Senges Antiform verfaltet. Die Abschnitte bestehen aus den Bündnerschiefern der Glocknerdecke, innerhalb derer das Vorhandensein von bedeutenden Fließsystemen nicht erwartet wird.

Km 47,5 bis 48,2: periadriatische Störungszone
– Km 47,5 bis 48,2: Maulser Tonalitlamelle/periadriatische Störungszone
Die bisherigen Kenntnisse der Bohrungen in Mauls zeigen, dass zahlreiche Störungen einen geotechnisch schwierigen Bereich bewirken, welcher durch Wasserzutritte zusätzlich verschlechtert wird.

Km 48,2 bis 55
– Km 48,2 bis 55: Brixner Granit
Der Brixner Granit ist ein standfestes relativ hartes Gebirge, das sich auch beim Erkundungsstollen Aicha-Mauls bestätigte. Einzelne lokal entfestigte Bereiche sind jedoch möglich.

3 Stand des Brenner Basistunnels
3.1 Wesentliche Kenndaten des Projekts
Mit der Umfahrung von Innsbruck wird der Brenner Basistunnel mit 62,7 km die längste unterirdische Eisen-bahnverbindung der Welt. Er besteht aus 2 nebeneinander liegenden Röhren mit einem Innendurchmesser von etwa 8 m und einem Abstand von 70 m. Unterhalb dieser Hauptröhren befindet sich der Erkundungsstollen mit kleinerem Durchmesser, der zur Vorerkundung und später zur Entwässerung dient (Bild 3). Die wichtigsten Kenndaten des Brenner Basistunnels sind:
– Länge: 55 + 6,5 = 62,5 km
– Längsneigung: 5,0 bis 6,7 ‰
– Scheitelhöhe des Basistunnels: 795 m ü. d. M.
– Nettoquerschnitt der Hauptröhren: ca. 43 m2
– Abstand der Querschläge: 300 m.
Mittig, etwa ca. 12 m unterhalb der Hauptröhren  wird ein Erkundungsstollen vorgetrieben. Dieser hat einen Innen-durchmesser von etwa 5 m, der prioritär der geologischen Untersuchung entlang der gewählten Trasse dient. Später wird er als Entwässerungsstollen benützt, was technisch durchaus Sinn macht, da Erhaltungsmaßnahmen der Entwässerungsröhre ohne den Bahnbetrieb zu stören stets möglich sind.
Insgesamt sind 3 Multifunktionsstellen in einem Abstand von etwa 20 km vorgesehen und zwar bei der Umfahrung Innsbruck, in St. Jodok (südlich von Steinach) und in Trens (nördlich von Mauls). Diese Multifunktionsstellen werden durch einen befahrbaren Zufahrtstunnel erschlossen.
Im Brenner Basistunnel soll entsprechend der TSI–Richtlinie ein 25 kV – 50 Hz Traktionssystem installiert werden. Für den Brenner Basistunnel bzw. alle Neubauabschnitte der Brennerachse wurde als Zugsicherungssystem das ERTMS–Level 2 (European Rail Traffic Management System) entsprechend der TSI CCS festgelegt. Die Betriebsleitzentrale wird sich in Innsbruck befinden; eine Notzentrale in Verona oder Bologna (Bild 4).

3.2 Genehmigung
Im Jahre 2002 wurde das Vorprojekt erstellt und im März 2008 sowohl in Italien als auch in Österreich das Einreich- bzw. UVP-Projekt den Behörden zur Genehmigung vorgelegt. In Österreich wurde mit Bescheid der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie vom 15. April 2009 die Baugenehmigung nach dem österreichischen Eisenbahngesetz und die weiteren Genehmigungen erteilt. Die übrigen Genehmigungen bezüglich des Wasserrechts, des Denkmalschutzes und der Deponien wurden vom Landeshauptmann von Tirol am 16. April 2009 erteilt. Gegen einzelne Genehmigungen wurden Berufungen oder Beschwerden von Verbänden oder Organisationen hinterlegt. Einige Berufungen wurden abgewiesen, andere Verfahren laufen derzeit noch.
Die Finanzierung des Projektes erfolgt in Österreich über den Infrastruktur-Rahmenplan der ÖBB (Vereinbarung vom 24. Juli 2009 zum Rahmenplan 2009–2014). Die zugehörigen gesetzlichen Bestimmungen traten am 19. August 2009 mit § 42 Bundesbahngesetz, Novelle BGBl. I Nr. 95/2009 in Kraft.
In Italien wurde am 31. August 2009 durch den Interministeriellen Ausschuss für Wirtschaftsplanung (CIPE) das Einreichprojekt für das gesamte Vorhaben genehmigt. Auch die Anforderungen zur Tunnelsicherheit wurden geregelt und gemäß den Richtlinien abgeschlossen. Mit dem CIPE-Be-schluss und dem Finanzgesetz 2010 Nr. 191 vom 23. Dezember hat sich Italien verpflichtet, das gesamte Bauvorhaben zu finanzieren.

3.3 Tunnelbau beim Brenner Basistunnel
3.3.1 Bau der Erkundungsstollen-Abschnitte
Beim Brenner Basistunnel wird vorauseilend ein tiefer verlaufender Erkundungsstollen gebaut. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse aus dem Tunnel-monitoring fließen in die Beurteilung der Ausbruch- und Sicherungsmethoden neben der Erfahrung ein [2].
Seit August 2007 wird am 10,5 km langen Erkundungs-stollen Aicha–Mauls gearbeitet. Mit einer Doppelschildmaschine und Tübbingausbau wurden im Brixner Granit bereits 6,5 km gebaut. Die TBM weist einen Durchmesser von 6,3 m auf. Die mit Bewehrungsmatten bewehrten Tübbinge (4 Elemente und 1 Schlussstein) haben eine Wanddicke von 20 cm und eine Breite von 1,5 m. Das vorgefundene Ausbruchmaterial nach etwa 500 m ist ein sehr harter Granit mit Los-Angeles-Werten zwischen 15 und 20. Vom Anbindungspunkt des Fensterstollens Mauls in nördlicher Richtung bis zur Periadriatischen Naht werden derzeit auch die 700 m Erkundungsstollen konventionell vorangetrieben. Der Erkundungsstollen hat einen Querschnitt von 31 m2 und eine Längsneigung von etwa 0,5 %.
Das nächste Baulos betrifft die Durchörterung der etwa 1100 m langen Periadriatischen Naht, wo zuerst mittels Horizontalbohrungen vorauseilend der Gebirgsdruck und mögliche Wassereintritte erkundet werden.
Der 1,8 km lange Fenster-stollen bei Mauls mit einer Längsneigung von 8,5 % wurde mit Sprengvortrieb bereits fertig gestellt. Dabei wurde ein Querschnitt mit 92 m2 hergestellt, welcher für die Baulogistik notwendig ist. Die Sicherung erfolgt mit einem faserverstärkten Spritzbeton und in Teilbereichen mittels Anker (Superswellex). Im Mittel konnten 5 m pro Tag konventionell vorgetrieben werden. Die Wassereintritte waren in diesem Abschnitt gegenüber den Voraussagen wesentlich geringer und betrugen etwa 5 l/s.
Auch die Arbeiten des 400 m langen oberflächenna-hen Tunnels Unterplattner, wo die Förderbänder zwischen Baustelle Aicha und der Deponie Hinterrigger verlaufen, wurden abgeschlossen.
Die Arbeiten am Erkundungsstollen Innsbruck–Ahrental wurden am 4. Dezember 2009 begonnen. Nach dem Bau der Gewässerschutzanlagen wird mittels Sprengvortrieb in der Sillschlucht bei Innsbruck der erste etwa 290 m lange Abschnitt gebaut. Auf den ersten 30 m mit nachbrüchigem Gebirge werden zur Begrenzung des Überprofils und zum Schutz der Mineure Stahlspieße zur vorauseilenden Sicherung des Arbeitsraumes an der Ortsbrust eingesetzt. Anschließend werden der Erkundungsstollen Innsbruck–Ahrental mit 5,4 km und der Fensterstollen Ahrental mit 2,42 km mittels Sprengvortrieb gebaut.
Die nächsten Abschnitte des Erkundungsstollenprogramms betreffen den Bereich Wolf, wo neben 2 oberflächennahen Zufahrtsstollen (Abfahrt von der Autobahn: 900 m langer Saxenertunnel und Zufahrt zur Deponie Padastertal: 500 m langer Padastertunnel) der Bau-stellenbereich und der Fensterstollen Wolf gebaut wird.

3.3.2 Monitoring
Zur Beobachtung der Felsformationen und zur Beweissicherung wurde für den Erkundungsstollen beim Brenner Basistunnel ein umfangreiches Monitoring-Programm entwickelt bzw. von der Behörde vorgeschrieben. Entlang des Er-kundungsstollens Aicha–Mauls wurden etwa alle 250 m Fenster bzw. gesamte Tübbingringe offen gelassen, damit mögliche Gefügeveränderungen direkt sichtbar sind. Die Deformationsmessungen sind teilweise in den Tübbingen (Aicha–Mauls) oder werden in der Spritzbetonschale (Innsbruck–Ahrental) integriert. Konzeptiv dient dieses Monitoring sowohl der Beobachtung der Radialverformungen nach dem Ausbruch aber auch später während des Baus der Haupt-tunnel (Bild 5).
Die mittels nicht linearen FE-Berechnungen beim Erkundungsstollen Aicha–Mauls  ermittelten Spannungen und Verformungen zeigen, dass der Extremwert der Spannung (sxx) etwa 1,9 MPa beträgt. Dieser Wert tritt in der Tunnelschale nahe der Verbindung zwischen dem rechten Segment und dem Bodensegment auf. Die Vertikalspannung erreicht einen maximalen Wert von 4,3 MPa seitlich an der Tunnelschale. Die maximale Vertikalverformung in der Firste beträgt ca. –3 mm. Die Horizontalverformung ist sehr gering (Tabelle 1).
Das Verhalten der Tübbinge unter zunehmender Belastung zeigt einen relativ linearen Anstieg mit einem ausgeprägten plastischen Bereich. Nach derzeitigen Untersuchungen der Betondruckfestigkeit der Fertigteiltübbinge liegt die Zylinderdruckfestigkeit über 50 MPa.
Ganz wesentlich ist beim Monitoring nicht nur die fachgerechte Erfassung der Daten, sondern vor allem die Interpretation der Ergebnisse in Bezug auf die Sicherheit der Ausbaumaßnahmen [5]. Prinzipiell stellen die gemessenen Verformungen den Zustand der Einwirkung dar. Dem gegenüber steht der Widerstand der Ausbauelemente (Tübbinge oder Spritzbeton). Nachdem es sich um verformungsrelevante Kenndaten handelt, werden die gemessenen Verformungen „uMon“ der Einwirkung den Maximalverformungen „uR,max“ des Ausbaus (berechnet oder experimentell ermittelt) gegenübergestellt.
Bei einem linearen Verhalten kann die Maximalverformung des Ausbauelementes (Beton) vereinfacht wie folgt errechnet werden [4, 6, 7]:   
            [1]
            
Zur Abschätzung der notwendigen Sicherheit wird eine vereinfachte probabilistische Betrachtung durchgeführt. Dabei stellt die Einwirkung eine normalverteilte und der Ausbauwiderstand eine lognormalverteilte Basisvariable dar.
Unter Berücksichtigung von streuenden Variablen kann der Sicherheitsindex (ähnlich der Sicherheitstheorie) ermittelt werden (Bild 6):

R – S = Z[2]

            [3]
            
Nun werden der Mittelwert und die Standardabweichung der Basisvariablen errechnet. Damit kann nun mit nachfolgender Formulierung der Sicherheitsindex b errechnet werden (Bild 7).   

           



            [4]

Die statistischen Kenngrößen der lognormalverteilten Größe des Ausbauwiderstandes errechnet sich vereinfacht:   

            [5]
    
    [6]





[7]

Für die stochastische Modellierung werden aufbauend auf einigen Bewertungen die Größenordnungen in Tabelle 2 gewählt.
Da es sich bei dieser Grenzwertbetrachtung um Verfor-mungskriterien handelt, werden je nach Anwendungsfall und weiterer Entwicklung des Ausbaues 3 Bewertungen vorgeschlagen (Tabelle 3).
Ziel ist es, durch laufende Messungen die Prognosen zu verbessern, damit die Risiken beim Bau und damit auch die Kosten möglichst kalkulierbar bleiben können.

3.3.3 Haupttunnel
Beim Brenner Basistunnel hat man durch die sehr umfangreichen geologischen und hydrogeologischen Bohrungen im Umfang von mehr als 25000 m ein enormes Wissen erarbeitet. Zusätzlich werden diese Er-kenntnisse durch die Ergebnisse des Erkundungsstollens noch bereichert werden. Dabei werden die geologisch schwierigen Abschnitte zuerst vom Erkundungsstollen aufgefahren, damit diese Erkenntnisse beim Bau des Haupttunnels einfließen können. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand werden beim Haupttunnel etwa 2/3 maschinell mit Tunnelbohrmaschinen und 1/3 konventionell mit Sprengungen vorgetrieben.
Gebirgsverbessernde Maßnahmen und Injektionen können sowohl vom Erkundungsstollen vorauseilend oder vom Haupttunnel aus durchgeführt werden. Mittels Hochdruckinjektionen mit Spezial-Zement-Suspensions-Lösungen kann das Gebirge verbessert und eventueller Wasserandrang reduziert werden. Diese Techniken können sowohl zur Sicherung der Ortsbrust während eines Werkzeugwechsels bei Tunnelbohrmaschinen als auch bei Tunnelabschnitten mit schlechterem Gebirge und höherem Wasserandrang eingesetzt werden. Solche Maßnahmen können beim Brenner Basistunnel in einigen Abschnitten, wie beim Innsbrucker Quarzphyllit, bei den Hochstegener Kalken – Venntal, bei der Periadriatischen Naht bei Mauls eingesetzt werden.
Die Vorgangsweise bei gebirgsverbessernden Maßnah-men kann wie folgt zusammengefasst werden:
– Grobeingrenzung der Störzonen durch Reflexionsseismik
– Vorausbohrungen durch Kernbohrungen bzw. Schlagbohrungen evtl. im Schutze eines Preventers
– Reduktion der Wassereintritte durch Vorausinjektionen (Schirme) mit Überlappung
– Durchörterung der Störzone im Schutze des Schirmes.
Die Reflexionsseismik wird derzeit auch beim Erkundungsstollen Aicha–Mauls eingesetzt. Die Ergebnisse solcher Messungen müssen aber stets sorgfältig interpretiert und gegebenenfalls mit Vorausbohrungen ergänzt werden. Diese Erfahrungen wurden auch bei der Störzone bei Km 6,1 beim Erkundungsstollen Aicha–Mauls gemacht.
Der Bau des Haupttunnels erfolgt in der Phase III, die noch nicht an die BBT SE beauftragt wurde. Ziel ist es, mit den Planungen zum Haupttunnel im Jahre 2010 zu beginnen.

3.4 Materiallogistik
Die Gesamtmenge des anfallenden Tunnelausbruchmaterials des Brenner Basistunnels inklusive der Ausbruchmengen aus dem Erkundungsstollen-programm beträgt im verdichteten Zustand etwa 15,5 Mio. m³. Die Deponien werden unmittelbar bei den Fensterstollen angeordnet; die teils sogar – wie im Padastertal – mit einem eigenen Transporttunnel verbunden werden. Durch diese Optimierung können die Transportwege reduziert und der Abtransport des Materials ohne lange Wege auf öffentlichen Straßen erfolgen. Im Rahmen der baulogistischen Untersuchungen wurde das Ausbruchmaterial anhand der geologischen Untersuchungen prognostiziert und insgesamt in 4 lithologische Klassen zusammengefasst. Jede dieser 4 Klassen wurde in entsprechende Verwertbarkeitsklassen unterteilt, und zwar in Material für Betonzuschlagstoffe, in Schüttmaterial und in nicht weiter verwertbares Ausbruchmaterial. Für die Berechnung der Deponien wurde nur die Klasse A ausgenommen (Bild 8). Folgende Verwertbarkeitsklassen wurden unterschieden:
– Verwertbarkeitsklasse A:
hochwertiges Material, geeignet für Betonzuschlagstoffe
– Verwertbarkeitsklasse B:
Material für Dammschüttungen und Hinterfüllungen
– Verwertbarkeitsklasse C:
nicht wieder verwertbares und zur Endlagerung auf Deponien bestimmtes Material.

4 Zusammenfassung
Der „Brenner Basistunnel kommt“ – das war eine Feststellung am 16. Juni 2009 durch den leider am 22. Juni 2009 verunglückten EU-Koordinator Karel Van Miert. Derzeit werden die Erkundungsstollenabschnitte gebaut, demnächst werden wir mit einer übergeordneten Leitplanung (guide design) für den Haupttunnel beginnen und diesen bauen. Die BBT SE möchte mit diesem Infrastrukturbau auch einen wissenschaftlichen Mehrwert schaffen. Am 5. Juni 2009 wurde ein Rahmenvertrag mit 7 Universitäten abgeschlossen. Dabei sollen durch die Universitäten neue Technologien wissenschaftlich unterstützt, wirtschaftliche, soziale und ökologische Themen aufgegriffen und bearbeitet werden. Durch einen intensiven Austausch sollen auch die Erfahrungen der umliegenden Tunnelbauten eingebunden werden.

Literatur
[1] Bergmeister, K. (2008): Brenner Basistunnel – Lebensräume und Verkehrswege. Tappeinerverlag – Lana, Innsbruck. [2] Bergmeister, K. (2006): Service Life Monitoring of Tunnels. 1. Internat. Workshop of Unterground Structures. Shangai, 10-2006.
[3] Hoek, E.: Practical Rock Engineering. 2007, http://www.rockscience.com/hoek/PracticalRock Eningeering.
[4] Kainraht-Reumayer, St.; Gschwandtner, T.; Galler, R.: Das Kennlinienverfahren als Hilfsmittel für die Bemessung von tiefliegenden Tunnelbauwerken. In: Geomechanics and Tunneling 2, Nr. 5, S. 553–560, 2009.
[5] Strauss, A.; Bergmeister, K. Damage identification methods using static or dynamic response. Euro C-2006. Wien, Austria.
[6] Vlachopoulos, N.; Diederichs, M.: Improved Longitudinal Displacement Profiles for Convergence Confinment Analysis of Deep Tunnel. Rock Mechanics and Rock Engineering, 2009, pp. 131–146.
[7] Wittke, W.; Wittke-Gattermann, P.: Tunnelstatik. In: Betonkalender 2005, S. 495–498. Hrsg. Bergmeister, K.; Wörner, J. Verlag Ernst & Sohn, Berlin.

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