Größte Rettungsübung in Deutschland mit Beteiligung der STUVA: ICE-Brand im Tunnel Fleckberg

Über 1000 Rettungs- und Einsatzkräfte, 300 Darsteller und mehr als 200 Schiedsrichter, Beobachter und Gäste: Die Einsatzübung im thüringischen Eisenbahntunnel Fleckberg, die am 22. Juni 2019 stattfand, war die bislang größte ihrer Art in Deutschland und wohl auch die realistischste. Übungsannahme: Ein mit 300 Personen besetzter ICE-Zug ist nach einer Gefahrenbremsung mitten im Tunnel zum Stehen gekommen. Ein Entstehungsbrand der Transformatoren macht eine Weiterfahrt unmöglich und entwickelt sich zum Vollbrand. Überall ist Rauch, und die Hilfeschreie der Verletzten hallen durch den Tunnel. Es gibt Tote und Verletzte – körperliche Schwerstarbeit und höchste psychische Belastung für alle Rettungskräfte!

An der Vorbereitung und Durchführung der Übung war auch die STUVA beteiligt. Diese arbeitet aktuell zusammen mit anderen Partnern unter der Leitung des Deutschen Zentrums für Schienenverkehrsforschung beim Eisenbahn-Bundesamt (DZSF beim EBA) am Forschungsprojekt SIKET (Evaluierung und Weiterentwicklung der Sicherheitskonzepte für Eisenbahntunnel). Dieses wird im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die STUVA ist im Rahmen von SIKET verantwortlich für die Modellierung der Rauchausbreitung sowie die Weiterentwicklung eines ganzheitlichen Sicherheits- und Rettungskonzepts. Bei der Übung im Fleckbergtunnel hat sie die künstliche Verrauchung übernommen und ist an der Auswertung der umfangreichen Ergebnisse beteiligt.

Simulation der gesamten Rettungskette

Um die Übung so realistisch wie möglich zu gestalten, wurden vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) Landesverband Thüringen zusammen mit Wissenschaftlern des SIKET-Forschungsvorhabens für ca. 60 „Schwer- und Schwerstverletzte“ individuelle Verletzungsmuster zugewiesen. Wie im realen Einsatz verbesserten sich deren Vitalwerte nach einer medizinischen Versorgung, konnten sich aber ohne Behandlung auch verschlechtern. Mitarbeiter des Centre for Security and Society am Lehrstuhl für Soziologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hatten für jeden „Reisenden“ eine persönliche Identität und Reisehistorie (Start- und Endpunkt der Reise, Grund etc.) erstellt. Außerdem wurden im Vorfeld soziale Gruppen gebildet (Familien, Vereine, Freunde usw.), welche im Ereignisfall zusammenbleiben, sich verlieren, suchen aber auch sich gegenseitig unterstützen. Sämtliche Begebenheiten wurden so realistisch wie möglich vorgeplant. Die Thüringer Landespolizei hatte sogar gemäß der vorher festgelegten Legende entsprechende Ausweise für die einzelnen Teilnehmer erstellt. Die Übung erstreckte sich nicht nur auf den Tunnel und die insgesamt drei Rettungsplätze an den Tunnelportalen und am Notausgang. Da die Rettungskette vollständig nachgestellt werden sollte, beteiligten sich auch neun Krankenhäuser an der Übung. Sie nutzten die Gelegenheit, um in ihren Bereichen (Notaufnahme, Diagnostik, OP-Bereiche und Intensivstationen) die Abläufe bei einem Massenanfall von Verletzten zu üben. Ein Rettungshubschrauber des ADAC verbrachte Patienten über den Luftweg in die zugewiesenen Krankenhäuser. Auch die Landes- und Bundespolizei war mit mehreren Hubschraubern und über 100 Einsatzkräften beteiligt.

Wissenschaftliche Begleitung durch SIKET

Mit detailliert festgelegten Personenlegenden und Verletzungsmustern für jeden Reisenden war es den SIKET-Mitarbeitern bereits in der Übungsvorbereitung gelungen, eine möglichst realistische Wirkung auf die Rettungskräfte zu erzeugen. Während der Übung ließen die Forscher dann die Tunnelröhre mit Hilfe leistungsstarker Nebelmaschinen partiell stark verrauchen, was die Realitätsnähe der Situation für die Retter noch einmal deutlich steigerte. Natürlich sind die gleichzeitigen Übungsannahmen „Brand“, „Notbremsung“, „Halt im Tunnel“ sowie das Ausmaß an Verletzten in dieser Kombination alles andere als typisch und erzeugen eine eigentlich unerwünschte Übungskünstlichkeit. Diese wurde aber in Kauf genommen, um möglichst viele Aspekte der Rettungskette und auch die Wirksamkeit der baulichen Sicherheitseinrichtungen des Tunnels zeitgleich prüfen zu können.

Im nächsten Schritt werden jetzt die zahlreichen aufgenommenen Daten (Videos, Fotos, Beobachtungsbögen und Interviews mit verschiedenen Beteiligten) von SIKET ausgewertet und für die weitere Arbeit im Forschungsprojekt verwendet. Ziel ist es, mit den gewonnenen Daten die derzeit verfügbaren Werkzeuge zur Rettung aus Eisenbahntunneln zu erweitern. Für die Zukunft ist geplant, mit Hilfe der gesammelten Eindrücke eine Übungsumgebung in Virtueller Realität (VR) zu schaffen, die es Feuerwehrmitgliedern erlaubt, solche speziellen Situationen auch ohne aufwendige Tunnelsperrungen realitätsnah zu üben. Schließlich ist das Kernziel von SIKET, Rettungskräften und Personal der Bahn auf Schadenslagen vorzubereiten oder besser noch, solche Unglücke ganz zu vermeiden. Weitere Informationen zu SIKET finden sich unter www.sifo.de.

Tunnel Fleckberg: Einsatzort in schwieriger topographischer Lage

Der 1490 m lange Tunnel Fleckberg im Thüringer Wald ist Teil der 107 km langen Neubaustrecke von Ebensfeld nach Erfurt auf der europäischen Hochgeschwindigkeitstrasse von Italien nach Skandinavien. In dieser anspruchsvollen topographischen Lage reihen sich auf einer Länge von ca. 30 km gleich 109 Ingenieurbauwerke – darunter 22 Tunnel – nahtlos aneinander. Der Teilabschnitt VDE 8.1 ist das größte und komplexeste Einzelprojekt des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit Nr. 8 und stellt daher ganz besondere Anforderungen an das Einsatzkonzept für die Rettungskräfte aus Thüringen und Bayern. Ziel war es deshalb schon früh, länderübergreifend ein einheitliches Einsatzkonzept für alle 22 Tunnelbauwerke zu entwickeln.

Die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich ein brennender Zug im Tunnel liegenbleibt, ist im Übrigen äußerst gering. Die DB AG hat in ihren Fahrzeugen zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um eine Brandentstehung zu verhindern. Falls aber doch ein Feuer ausbricht, gilt die Vorgabe, dass der betroffene Zug nicht innerhalb des Tunnels zum Stehen kommen darf. Deshalb verfügen alle Züge beispielsweise über eine Notbremsüberbrückung, um eine Weiterfahrt ins Freie zu ermöglichen, wo deutlich bessere Bedingungen für eine Räumung und Löscharbeiten bestehen.

Erkunden, Löschen, Suchen und Retten

Bereits seit 2011 arbeitet die Koordinierungsleitung der „Gefahrenabwehr an der VDE 8.1“ an der Entwicklung und Verfeinerung eines Rettungskonzepts. Diese Koordinierungsleitung setzt sich aus allen Gefahrenabwehr- und -vorbeugungseinheiten der betroffenen Landkreise in Thüringen und Bayern und der Stadt Erfurt zusammen. Hinzu kommen noch die Thüringer Landesfeuerwehr- und Katastrophenschutzschule sowie Vertreter der DB Netz AG, der Landes- und Bundespolizei, der psychosozialen Notfallversorgung, des THW und anderer Hilfsorganisationen.

Das Einsatzkonzept setzt vor allem auf sogenannte Tunnelbasiseinheiten (TBE). Als TBE wird ein fest zusammengehöriger Trupp aus mehreren Feuerwehrfahrzeugen und deren Mannschaften bezeichnet. Für den Abschnitt der VDE 8.1 wurden in Thüringen durch die Landkreise und die Stadt Erfurt insgesamt 18 TBE und in Bayern 9 TBE aufgestellt. Die einsatztaktische Vorgehensweise unterteilt sich bei jedem Brandereignis in die drei Phasen „Erkunden“, „Löschen“ sowie „Suchen und Retten“. Die jeweiligen Einzelaufträge sind bestimmten Löschfahrzeugen der vordefinierten TBE zugeordnet.

Wer zuerst vor Ort ist, agiert auch als Erstes

Eine Besonderheit des Rettungskonzepts für die VDE 8.1 ist, dass jede Besatzung der insgesamt 54 Einsatzfahrzeuge so ausgebildet und materiell ausgestattet ist, dass sie jeden der drei Einsatzaufträge erfüllen kann. So sind alle Einheiten universell einsetzbar. Alle TBE sind an mehreren Tunnelbauwerken eingeplant, treffen aber je nach Einsatzort aufgrund der unterschiedlichen Entfernungen zu verschiedenen Zeiten ein. So stellt beispielsweise die Besatzung eines Löschfahrzeuges bei einem nahen Tunnel den Erkundungstrupp und bei einem weit entfernten Tunnel einen Teil des Such- und Rettungstrupps. 

Die Übung ist nicht die erste auf dieser Strecke. Bereits vor der Inbetriebnahme im Jahr 2017 wurden an der Neubaustrecke VDE 8.1 insgesamt elf Übungen durchgeführt, davon sechs als Vollübungen. Auf deren Grundlage wurden die gesamten Abläufe noch weiter angepasst, verfeinert und mit der jüngsten Vollübung überprüft. Das erste Fazit der Verantwortlichen nach der Großübung ist durch und durch positiv: Das Einsatzkonzept hat sich in Gänze erfolgreich bewährt.

www.stuva.de

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