Ein Wort zum Thema…

„Innovation mit Nachhaltigkeit“ oder „Tradition trifft Moderne“

Mein Vater sagte in den 1970er-Jahren – weiter zurück kann ich mich nicht erinnern – immer mal wieder: „Was nicht 50 Jahre am Bau bewährt ist, kommt nicht in die DIN-Normen.“ Ich fand diese Aussage immer wenig innovativ, zumal ich mich fragte, welcher bauchemische Produzent schon deutlich mehr als 50 Jahre existiert. Muss wirklich so lange mit der technischen und normativen Akzeptanz von neuen Bauverfahren oder Produkten gewartet werden, bis die Entwickler in Pension gegangen sind? Sicher nicht!

Die Innovationsfähigkeit von Unternehmen ist sicher einer der Schlüssel zum Erfolg und insbesondere vor dem Hintergrund eines global wachsenden Mitbewerbs auch zum langfristigen Überleben und Wachstum. Gerade Unternehmen in den Ländern Österreich, Schweiz und Deutschland haben bei der Entwicklung von neuen Standards, Produkten und Verfahren im Tunnelbau Meilensteine gesetzt. Unternehmen, die aus Kostengründen ihre Anstrengungen in Forschung und Entwicklung verringern, werden langfristig das Nachsehen haben.

Bei der Einführung von Innovationen stellen sich Unternehmen immer wieder normative Hürden und und Unstimmigkeiten zwischen Regelwerken in den Weg – beispielsweise zwischen europäischen und nationalen Regelungen. Beim Thema Rissfüllstoffe in Stahlbeton, das in den meisten Tunnel- oder Tiefbauwerken auf die Bauschaffenden zukommt, werden solche Hürden deutlich. Es gab zunächst die nationalen deutschen Regelungen, die ZTV-ING, Teil 3, Abs. 5, sowie die DAfStb-Richtlinie „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“. Darin ist die Welt noch „in Ordnung“, so füllt man kraftschlüssig mit Epoxidharz, Zementleim oder Suspension, füllt flexibel mittels Polyurethanharz und stoppt Wasser mit 1-Komponentenschaum. Natürlich ist diese Regelung technisch gesehen völlig korrekt, allerdings kann seit geraumer Zeit auch Epoxidharz flexibel und kraftschlüssiges Polyurethanharz gleichzeitig wasserstoppend sein. Komplizierter wurde es, als 2007 die EN 1504-5 in Kraft trat. Damals wurde in Deutschland mit der DIN-V-18028 eine nationale Übergangsnorm geschaffen, die das Bindeglied zwischen EN Norm und ZTV-ING bildet. Leider passen die prüftechnischen Vorgaben der EN 1504-5 nicht auf die marktüblichen Epoxidharze und Zementsuspensionen. Diese Hürden sollen mit einer Novellierung der EN 1504-5 behoben werden. Damit kommt aber die nächste Diskrepanz, da gemäß novellierter EN-Norm und neuer Bauproduktenverordnung Acrylatgele als Rissfüllstoffe gemäß System 2+ in den Handel gelangen können. Die sind aber nicht in den genannten nationalen deutschen Regelwerken enthalten.

Genauso wichtig wie Innovation scheint mir aber auch die Nachhaltigkeit – einerseits für umwelttechnische Belange und andererseits im Sinne langlebiger, dauerhafter Lösungen. Innovation und Nachhaltigkeit müssen in gleichem Maß gelebt werden.

Was nützen die neuesten Produkte und Verfahren, wenn durch diese, ebenfalls auch nachhaltig, die Umwelt geschädigt wird. Ich denke beispielsweise an Injektionsstoffe, die zur Stabilisierung, zur Verfestigung oder zum Wasserstoppen während des Vortriebs in den Untergrund injiziert werden: sie müssen sich weitestgehend neutral dem Bergwasser gegenüber verhalten. Vielen ist sicher noch das warnende Beispiel des Schwedischen Hallandsås Tunnel in Erinnerung. Im Jahr 1997 kam es infolge einer Gebirgsinjektion mittels Acrylamidgel zu erheblichen Umweltbeeinträchtigungen und dauerhaften Personenschäden. Der europäische Hersteller hatte für sein Produkt sogar eine KTW Zulassung gemäß der „Leitlinie zur hygienischen Beurteilung von organischen Materialien in Kontakt mit Trinkwasser“ bei einem deutschen Institut erhalten. Glücklicherweise gibt es heute einheitliche Prüfregelungen zur grundwasserhygienischen Untersuchung und für Acrylatgele eine Grundwasserhygienische Zulassung (AbZ) für die Injektion in den Baugrund.

Und nun zur Langlebigkeit. Wer kennt sie nicht, die Fragen nach 25, 50 oder sogar 100 Jahren Dauerbeständigkeit der angebotenen Produkte – bei öffentlichen Auftraggebern im Verkehrswegebau durchaus ernst gemeint. Natürlich ist allen Beteiligten klar, dass es faktisch kein Bauprodukt gibt, was chemisch unverändert seit 50 Jahren produziert wird. Also kann es nur schwerlich eine wirkliche, real geprüfte Aussage geben. Der Hersteller ist im Rahmen des erträglichen und möglichen aber dennoch aufgefordert, die Dauerhaftigkeit seiner Produkte nachvollziehbar zu dokumentieren. In dem Zusammenhang wundere ich mich immer wieder über Firmen, die mit einer Innovationsflut von eher zweifelhaftem technischen und preislichen Vorteil auf den Markt kommen. Hier müssen sich alle Bauschaffenden ernsthaft im Klaren darüber sein, wie verheerend – preislich und technisch – sich solche „Innovationen“ auf ihr Bauwerk auswirken können. Ich kann da immer wieder nur an den „gesunden Menschenverstand“ appellieren: Auf unseren Baustellen geschieht zwar das Unmögliche, aber keine Wunder. Dauerhafte Bauwerke benötigen eben dauerhafte und verlässliche Produkte und Verfahren, und diese sollten auch von entsprechend langjährig erfahrenen Lieferanten und Dienstleistern kommen.

Ich wünsche uns allen gutes Gelingen, in unserem Arbeitsfeld innovativ und nachhaltig tätig zu sein.

Ihr

Götz Tintelnot

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