Jagdberg Tunnel

Tunnel Jagdberg der Autobahn A4 Eisenach – Görlitz/D

Über den Baubeginn des Jagdbergtunnels in Thüringen wurde bereits in tunnel 1/2009, S. 8 ff, ausführlich berichtet. Der folgende Beitrag knüpft an die Projektvorstellung zum Baubeginn an und setzt Schwerpunkte beim Auffahren des Tunnels, der Geologie und den Auswirkungen auf den durchgeführten Vortrieb.

1 Einleitung

Am 27. August 2009 war es soweit. Fast genau 11 Monate nach dem offiziellen Tunnelanschlag am 26. September 2008 am Ostportal wurde der offizielle Durchschlag der ersten der beiden ca. 3100 m langen Tunnelröhren, die Südröhre, feierlich durchgeführt. Eine Woche später, am 3. September 2009, folgte direkt die Nordröhre. Somit konnte entgegen aller Prognosen die Kalottenvortriebe der Süd- und Nordröhre etwa 9 Monate früher abgeschlossen werden (Bild 1).

Beide Röhren waren zeitversetzt im gegenläufigen Sprengvortrieb mit vorauseilender Kalotte und im Durchlaufbetrieb aufgefahren worden. Die hohen Vortriebsleistungen von bis zu 9 m/Arbeitstag bei einer maximalen Abschlagslänge in der Kalotte von 1,50 m und einem Ausbruchquerschnitt von über 100 m²/m im Regelquerschnitt sind im Wesentlichen Folgendem zuzurechnen:

■ Optimierter und auf die geologischen Verhältnisse abgestimmter Maschinenpark und -einsatz. Jeder der 4 Vortriebsorte war mit einem eigenen Equipment ausgestattet (Bohrwagen, Spritzmanipulator, Radlader, Dumper etc.)

■ Unabhängige Versorgung der jeweiligen Vortriebsorte am West- und Ostportal mit Spritzbeton durch an den Portalen stationierte Betonmischwerke

■ Geschulte und erfahrene Vortriebsdrittel der Arge-Partner Baresel (Esslingen) und BeMo (Beton- und Monierbau Innsbruck)

■ Günstigere geologische und insbesondere hydrogeologische Verhältnisse und eine damit verbundene kurzfristige und einvernehmliche Fortschreibung der im Bauvertrag vorgesehenen Vortriebsklassen (Bild 2).

2 Abriss der aufgefahrenen Geologie

2.1 Geologische Verhältnisse

Die 2930 m (Südröhre) bzw. 3045 m (Nordröhre) langen bergmännischen Tunnelabschnitte durchörterten von West nach Ost die Schichten des Mittleren und Unteren Muschelkalks sowie des Oberen Buntsandsteins (Röt). Die Tunnelüberdeckung beträgt in den Portalbereichen 4 bis 12 m und steigt zur Tun-nelmitte bis auf ca. 135 m an.

Der Mittlere Muschelkalk wurde lediglich im Portalbereich West mit dem Unteren Dolomit angeschnitten. Den überwiegenden Anteil der Westvortriebe bildeten Kalkmergelsteine und Kalksteine des Unteren Muschelkalkes, die uneingeschränkt und ohne aufwändige Zwischenlagerung für den angrenzenden westlichen Streckenbau wiederverwendet werden konnten.

Die Ostvortriebe durchörterten hauptsächlich den Pelitröt (Mittlerer Röt) mit partiell dolomitischen Ton-/Schluffsteinen, einzelnen cm- bis dm-dicken Dolomit- und Sandsteinzwischenlagen und zahlreichen Gipseinlagerungen. Im unmittelbaren Portalbereich Ost und der Offenen Bauweise wurden auf Sohlniveau die unterlagernden Basisgipse des Salinarröt (Unterer Röt) angeschnitten. Die gipshaltigen Gesteine des Röt werden in einer Zwischendeponie am Ostportal zwischengelagert und nach der bergmännischen Auffahrung einer Röhre voraussichtlich ab Mai 2010 nach Westen transportiert und dort in Lärmschutzwälle eingebaut. Die Lärmschutzwälle werden aus gewässerschutzrechtlichen Gründen teilweise mit einer mindestens 1m dicken bindigen Schutzschicht abgedeckt.

Im mittleren Tunnelbereich war die Hauptstörungszone „Leutrastörung“ zu durchfahren. Hier waren die Schichten des Unteren Wellenkalkes und der Myophorien-Schichten (Oberer Röt) lokal versetzt, engräumig zerschert, verfaltet und flach bis geneigt einfallend. Die Myphorien-Schichten bestehen aus Tonmergel-, Mergelsteinen und zentimeterdünnen Kalk-steinzwischenlagen. Da die Westrandstörung der Leutrastörungszone einen Versatz von mehreren Dekametern aufweist, wurde die Zone der Oolithbänke nicht im Tunnel angeschnitten.

2.2 Hydrogeologische Verhältnisse

Entgegen den prognostizierten hydrogeologischen Verhält-nisse von insgesamt 80 bis 200 l/s Wasseranfall während der Vortriebsphase waren die Bergwasserzutritte gering. Selbst im Grenzbereich des grundwasserleitenden Unteren Wellenkalkes zum grundwasserstauenden Oberen Röt und der Leutrastörungszone (Längsschnitt Geologie, Bild 5) stellten überwiegend tropfenden Berg-wasserzutritte keine ernstzunehmenden Probleme für den Vortrieb und die Wasserhaltung dar. Im Bereich der Leutrastörung waren lokal zwischen 5 bis 10 l/s prognostiziert worden. An der Basis des Unteren Wellenkalkes, der „Gelben Grenz-bank“, wurden jedoch bis über 1 m große Karsthohlräume, die Indiz für temporär zirkulierendes Grundwasser sind, aufgeschlossen (Bild 3).

Schwach rinnendes Bergwasser trat lokal hauptsächlich in der Zone der Terebratelbänke, zweier Kalksteinbänke mit bankbezogen geöffneten Klüf-ten des Unteren Muschelkalkes auf (Bild 4).

2.3 Trennflächenbeschreibung und Verwitterung

Das überwiegend unverwittert bis angewitterte Gebirge, mit im Muschelkalk calcitisch bzw. im Röt mit Fasergips verheilten Trennflächen, konnte über weite Strecken in der Vortriebsklasse 4 ohne vorauseilende Sicherungen und im reinen Sprengvortrieb aufgefahren werden. Im Bereich der hangnahen Südröhre und in Portalnähe waren die Ton-/Schluffsteine des Pelitröt lokal entlang von Trennflächen durchfeuchtet und einhergehend der Fasergips entlang der Schicht- und Kluftflächen herausgelöst. Diese Verwitterungstaschen im Röt führten zu lokal begrenzten Nachbrüchen aus Laibung und Ortsbrust. Diese wurden mit vorauseilenden Spießen und einer wirksamen Ortsbrustversiegelung aus Spritzbeton beherrscht.

Im Bereich der Pannenbucht 3 standen die hangenden Partien des Pelitröts (Mittlerer Röt) an, in welchen makroskopisch der Fasergips aus den Trennflächen vollständig herausgelöst war und dadurch zu einer deutlichen Gefügeauflockerung (Residualbrekzie) führte. Durch die Anordnung eines ausreichend großen Stützkerns wurde die Ortsbrust gestützt und es konnten Ablösungen weitestgehend verhindert werden.

Die überwiegend söhlig gelagerte Schichtenfolge des Muschelkalkes und des Oberen Buntsandsteins im Tunnelabschnitt wird durch zahlreiche herzynisch (NW-SO-)streichen-de Störungsbahnen lokal verfaltet und versetzt. Die Störungen haben dabei fast ausschließlich Extensionscharakter. Die Ver-werfungen beschränken sich jedoch meist auf diskrete engräumige Störungsbahnen mit dezimeterbreiten Gefügeauflockerungen. An der Ostrandstörung standen die Schichten des Oberen neben dem Unteren Wellenkalk und an der West-randstörung in der Südröhre standen die Myophorien-Schichten neben dem Unteren Wellenkalk an. Somit lagen die Versatzbeträge zumindest teilweise im Dekameterbereich. Die Ostrandstörung in der Nordröhre zersplitterte in mehrere Einzelstörungen mit geringeren Versatzbeträgen im Meterbereich. Die Leutrastörungszone mit mehreren staffelartig bzw. grabenbruchartig angeordneten Einzelstörungen umfasste einen Tunnelabschnitt von ca. 290 m Länge in der Nordröhre bzw. ca. 275 m in der Südröhre. Die Einzelstörungen verliefen vorwiegend NW-SO, untergeordnet konjugiert, d. h. NO-SW streichend bei einem geneigten bis steilen Einfallen. Eine Ausnahme bildete eine Grabenbruchzone von ca. 40 m Länge innerhalb der Leutrastörungszone der Südröhre. Diese erforderte aufgrund einer bis max. 6 m breiten stark verwitterten bis zersetzten Störungsbrekzie einen kombinierten Bagger- und Sprengvortrieb mit Stützkern.

3 Auswirkungen auf den Vortrieb

3.1 Zusätzliche Erkundungsbohrungen Leutrastörung

Im mittleren Tunnelbereich waren mehrere tektonische Störungsbahnen prognostiziert worden, welche als Hauptstörungszone „Leutrastörung“ zusammengefasst worden war. Im Rahmen der Vorerkundung (Ent­wurfsplanung) waren im Be­reich dieser Störungszone bis zu 7 m mächtigen Störungs-brekzien entlang der Hauptstörungsbahnen erbohrt und daraus Versatzbeträge im Dekameterbereich abgeleitet worden. Weiterhin war aufgrund der angenommenen wasserstauenden Wirkung des Oberen Röt östlich der Störungszone zum darüberliegenden grundwasserleitenden Unteren Wellenkalk, anstehend im Bereich der west­lichen Störzone, von hohen Bergwasserzuflüssen von bis zu 10 l/s ausgegangen worden. Für diesen Bereich der „Leutrastörung“ waren auf der Grundlage der Prognose zahlreiche Sonder­maßnahmen im Bauvertrag für den Vortrieb vorgesehen. Dies umfasste unter anderen folgende Maßnahmen:

■ Bis zu 15 m lange Erkun-dungs- und Entwässerungs-bohrungen

■ Vorauseilende Sicherungen von 8 m langen IBO-Spießen bis zu 15 m langen Rohrschirmen (d >= 139 mm)

■ Ortsbrustsicherungen mit Spritzbeton und bis zu 15 m langen Ankern

■ Sofortiger Ringschluss in der Kalotte durch eine temporäre Kalottensohle und in der Strosse ein unmittelbar folgender Sohlschluss

■ Über 300 m Vorstollen im Bereich der Kalotte (Süd- und Nordröhre).

Um einen genaueren geologischen und hydrogeologischen Aufschluss der Hauptstörzone und deren Lage sowie deren Einfluss auf die tunnelbautechnische Auswirkungen auf den Vortrieb besser abschätzen und eventuell eingrenzen zu können, wurden nach ausgiebiger Diskussion vom Bauherren  2 zusätzliche Horizontalbohrungen (Kernbohrungen), vom Tunnel aus, beauftragt. Zuvor durchgeführte ergänzende geophysikalische Untersuchungen von der Oberfläche aus hatten keine Hinweise auf größere Karsterscheinungen, aber Hinweise auf eine Verschiebung der östlichen Randstörung der Hauptstörungszone Leutrastörung in Richtung Ost von ca. 130 bis 180 m gegeben.

Die 128 m bzw.145 m langen Horizontalbohrungen (Seilkernbohrungen), die vortriebsbedingt von der Kalotte der Nordröhre im Westen vorgeteuft wurden, hatten durchgehend eine gute Kernqualität und wiesen lediglich engräumige Verkarstungs- und Störzonen aus. Trotz des markanten Gesteinswechsels von den grundwasserleitenden Kalkmergel- und Kalksteinen des Unteren Wellenkalkes in die grundwasserstauenden Tonmergel- und Mergelsteine des Oberen Röt und des ungünstigen Schichteneinfallens in Richtung der Störungszone waren lediglich Tropfwasserzutritte aus den Horizontalbohrungen zu verzeichnen.

Auf Grundlage dieser Bohr-ergebnisse konnte dann auf die im Entwurf vorgesehenen aufwändigen und zeitintensiven zuvor aufgeführten Sicherungsmaßnahmen verzichtet werden.

3.2 Entkoppelter Strossen- und Sohlvortrieb, Einsparung Kalottensohle

Die Folgen der Änderungen in den angetroffenen geologischen und hydrogeologischen Verhältnissen unter Einbeziehung der ausführlichen vortriebsbegleitenden geotechnischen Messungen führten zwangsläufig zu einer Modifi-zierung der im Bauvertrag vorgesehenen Vortriebsklassen (Bild 5). So konnte bis auf die Tunneleingangsbereiche und die in der „Leutrastörung“ liegende Pannenbucht 3 auf folgende Abhängigkeiten und Sicherungsmittel verzichtet werden:

■ Die temporäre Kalottensohle sowie die Ortbrustanker bis auf die Tunneleingangsbereiche in allen weiteren vorgesehenen Bereichen

■ Entkopplung des vorgesehenen Sohlschlusses (Ring-schlusses) im Zusammenspiel mit dem Strossenvortrieb. Der Strossenvortrieb konnte ohne direkten Nachlauf des Sohlge-wölbes durchgeführt werden. Lediglich im Bereich der Pan-nenbucht 3 („Leutrastörung“) in der Nord- und Südröhre war der Einbau der Strosse und Sohle im Wechsel erforderlich.

4 Gipsproblematik im Röt

Die Gipseinlagerungen des Röt (Oberer Buntsandstein) stellen hohe Anforderung an die Herstellung einer späteren Innenschale dar (Bild 6). Wäh-rend der Bauzeit durchgeführte chemische Analysen der Ton-/Schluffsteine mit Gipseinlage-rungen ergaben Sulfatgehalte im Feststoff, die nach DIN 4030 einer Expositionsklasse XA 3 und höher zuzuordnen sind.

Die Grundwasseranalysen und Eluatbestimmungen wiesen jedoch eine Expositionsklasse XA 2 nach DIN 4030 aus. Da die ZTV-Ing für Angriffsgrade ab einschließlich XA3 eine Rundumabdichtung vorsieht, war zunächst davon auszugehen, dass eine Sohlplatte bzw. ein Sohl-gewölbe erforderlich werden müsste. Nach eingehenden und intensiven Diskussionen und nach Abwägung aller Risiken entschied sich der Bauherr für eine Verschiebung der vertraglich vorgesehenen Sohlgewölbe aus dem Bereich des Muschelkalk ins Röt sowie eine zusätzliche Anordnung von 620 m Sohlgewölbe im Röt.

Schlussfolgernd wird in den „trockenen“ Rötbereichen eine Regenschirmabdichtung mit offener Sohle und den Rötbereichen mit vortriebsbegleitend dokumentierten Bergwasserzutritten ein Sohlgewölbe mit Rundumabdichtung ausgeführt, so dass die Ausführung des Tunnelbauwerkes mit den vorgegebenen Rahmenbedingun-gen des geschlossenen Bauver-trages umgesetzt werden kann.

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