Brandschutz

Brandschutz im Eurotunnel

Mit ca. 50 km ist der Eurotunnel zwischen dem französischen Coquelles und dem englischen Folkestone der derzeit längste Eisenbahntunnel der Welt. Die Eurostar-Züge verkehren zwischen London und Paris sowie London und Brüssel durch den Ärmelkanal-tunnel. Zusammen mit den Auto- und Lkw-Zügen unterqueren täglich rd. 48.000 Menschen per Bahn den Ärmelkanal. Während die Pkw in komplett geschlossenen Wagen transportiert werden und die Passagiere während der Durchfahrt in ihrem Fahrzeug bleiben, werden die Lkw in speziellen Transportwagen (Shuttle-Zügen) befördert. Die Fahrer halten sich während der Durchfahrt in einem speziellen Club-Waggon auf, der am Anfang oder am Ende des Zuges mitgeführt wird.

In den Jahren 1996 und 2008 kam es auf diesen Lkw-Transportzügen zu schweren Bränden während der 35 Minuten dauernden Durchfahrt. In beiden Fällen konnten glücklicherweise alle Passagiere rechtzeitig über den in der Mitte des Tunnels befindlichen Servicetunnel evakuiert werden, sodass es hier zu keinen Toten und nur wenigen Verletzten kam. Bei den Bränden zeigte sich jedoch, dass es für die eingesetzten britischen und französischen Feuerwehrkräfte außerordentlich schwer war, den Brandherd zu erreichen und wirkungsvolle Brandbekämpfungsmaßnahmen durchzuführen. Im weiteren Verlauf des Brandes kam es durch die hohen Temperaturen von bis zu 1300 °C zu erheblichen Schäden am Tunnel sowie an der Betriebseinrichtung. Nach dem Brand im Jahr 1996 wurde die Tunnelröhre für ca. 7 Monate gesperrt. Der Schaden wurde auf ca. 250 Mio. Euro beziffert. Beim Brand im Jahr 2008 waren die Auswirkungen mit einer Sperrzeit von wenigen Tagen geringer, dennoch dauerte es bis in das Jahr 2009, bis der Betrieb in dem vom Brand betroffenen Bereich wieder vollständig freigegeben werden konnte.

„Safe-Station“ Konzept

Bereits nach dem Brand im Jahr 1996 wurden umfangreiche Überlegungen über eine brandschutztechnische Aufrüstung der Fahrzeuge unternommen. Aufgrund der Erfahrungen des Brandes von 2008 und weiteren Studien wurde jedoch entschieden, dass jeder Tunnel mit 2 sogenannten Safe Stationen ausgerüstet werden soll. Dabei soll der Lkw Shuttle Zug, auf dem ein Brand erkannt wurde, bis zu einer von zwei Safe Stationen im Tunnel fahren und dort an

einer vorbestimmten Stelle zum Stehen kommen, sodass die Passagiere aus dem Club-Waggon unmittelbar über einen Notausgang in die anderen Tunnelröhren in Sicherheit gebracht werden können. Gleichzeitig soll der Lkw-Brand auf dem Shuttle-Waggon erst genau lokalisiert und durch eine automatische Brandbekämpfungsanlage unter Kontrolle gebracht werden. Damit soll erreicht werden, dass die weitere Brandausbreitung deutlich eingegrenzt wird und die Einsatzkräfte einfacher und schneller zum Brandherd vordringen können. Gleichzeitig sollen die Schäden am Bauwerk und an der Betriebseinrichtung zusammen mit den Kosten durch Reparatur und Betriebsunterbrechung, im Vergleich zu den vorangegangen Bränden, deutlich reduziert werden.

Im Auftrag der Betreibergesellschaft Eurotunnel wurde durch BG Bonnard & Gardel eine Studie durchgeführt, die zeigt, dass im ungünstigsten Fall ein Brand auf einem Shuttle Zug eine Größe von 200 MW erreichen kann bis die Löschanlage aktiviert wird. Dabei wurden neben der maximalen Fahrzeit des Zuges bis zur Safe Station auch die komplexen Ventilationsbedingungen durch den Fahrtwind sowie eine mehrmalige Strömungsumkehr aufgrund von Kolbeneffekten des Zuges beim Halten und der Brandnotfalllüftung betrachtet.

In einem weiteren Schritt wurde die wirtschaftliche und technische Machbarkeit und Wirksamkeit von verschiedenen Systemtechnologien untersucht. Dabei wurden Sprühflutanlagen, Schaumlöschanlagen und Wassernebelanlagen nebeneinander betrachtet. Aufgrund der begrenzten Kapazität der Wasserversorgung und Wasserableitung im Tunnel wurden herkömmliche Sprühflutanlagen als wenig geeignet bewertet. Aufgrund eines deutlich höheren Installationsaufwandes, einer komplexeren Systemtechnik sowie einer möglichen Gefährdung von z. B. am Boden liegenden Personen wurde das Konzept einer Schaumlöschanlage ebenfalls verworfen. Verstärkt wurde diese Entscheidung durch die Kenntnis, dass nach einer Auslösung der Schaumlöschanlage umfangreiche Reinigungsarbeiten nötig würden und Korrosion entstehen könnte.

Für das Konzept der Safe Stationen wurde von der Be-treibergesellschaft sowie dem bilateralen Regierungssicherheitskomittee entschieden, dass eine Absicherung durch eine Hochdruck-Wasssernebelanlage (HDWN-Anlage) erfolgen soll. Vergleichbare Anlagen befinden sich bereits in diversen Straßentunneln in Europa im Einsatz.

Wassernebel für die Safe Stationen

Die Wassernebeltechnologie basiert auf der Verwendung von kleinsten Wassertröpfchen, die durch ihre große spezifische Oberfläche innerhalb kürzester Zeit verdampfen und dadurch im Vergleich zu herkömmlichen Wasserlöschanlagen dem Feuer eine sehr große Energiemenge entziehen können. Dadurch kommt es unmittelbar nach Aktivierung der Anlage zu einer schnellen Kühlwirkung. Des Weiteren wird durch die feinen Wassertropfen die Wärmestrahlung zu einem Teil absorbiert, was zu einer Verringerung der Einwirkung auf Bauteile und zu einer einfacheren Arbeit der Rettungskräfte führt.

Die HDWN-Anlage in jeder Safe Station hat pro Tunnelröhre eine Länge von 870 m und ist in 29 Sektionen unterteilt. Im Fall eines Brandes können bis zu 3 Sektionen gleichzeitig aktiviert werden.

Die Wasserversorgung erfolgt in jeder Doppel-Safe Station über einer zentrale Pumpenanlage, die über eine Hauptleitung im Servicetunnel die einzelnen Bereiche versorgt. Die Erzeugung des Wassernebels erfolgt über spezielle Düsen, die im linken und rechten Deckenbereich oberhalb des Lichtraumprofils angeordnet sind. Da sämtliche Installationen aus hochwertigem Edelstahl hergestellt sind, werden die Rohrleitungen im Bereich der Oberleitung durch eine spezielle Isolierung geschützt. Unabhängige Untersuchungen haben gezeigt, dass selbst bis zu einer Spannung von 30 KV kein Spannungsüberschlag durch Wasser-nebel stattfindet.

Die Lokalisierung des Brandherdes erfolgt über eine speziell für diesen Anwendungsfall entwickelte Anordnung von linearen Wärmemeldern. Durch die Positionierung von 3 Kabeln im Tunnelquerschnitt wird erreicht, dass selbst kleinere Brände bei höheren Strömungsgeschwindigkeiten schnell detektiert und ausreichend genau lokalisiert werden können.

Eine weitere Überwachung während eines Brandes kann durch Thermofühler realisiert werden, die in jedem Bereich der HDWN-Anlage installiert sind. Dadurch besteht für die Feuerwehrkräfte und den Be-treiber die Möglichkeit, einen möglichen Brand zu überwachen und gegebenenfalls andere Bereiche der HDWN-Anlage zu aktivieren.

Das System wird in zwei Stufen installiert. In einem Prototypsystem, das bis Ende 2010 fertig gestellt wird, wird die Wirksamkeit und die Funktionalität des Gesamtsystems überprüft werden. Dazu zählen auch Brandversuche im Maßstab 1:1, auf die im Folgenden noch eingegangen wird. Vergleichsweise neu für Löschanlagen sind die umfangreichen RAMS (Reliability, Availability, Maintainability und Safety) Betrachtungen des Gesamtsystems. Dabei wird nicht nur die Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit überprüft und nachgewiesen sondern es werden auch die Lebenszykluskosten des Gesamtsystems betrachtet. Alle 4 Safe Stationen sollen schließlich vor Beginn der olympischen Spiele in London bis zum Ende 2011 fertig gestellt werden.

Brandversuche bis 200 MW

Gemäß dem Stand der Technik und den aktuellen Regelwerken für Brandbekämpfungsanlagen in Tunneln (z. B. UPTUN R251, NFPA 502) sollte die Wirkungsweise der HDWN-Anlage für den Eurotunnel im Rahmen von Brandversuchen im Maßstab 1:1 nachgewiesen werden. Erwähnenswert ist, dass insbesondere durch die Ventilationsbedin-gungen und die Größe des zu erwartenden Brandes im Eurotunnel, vergleichbare Anwendungen noch nie zuvor mit Brandbekämpfungsanlagen abgesichert wurden. Weiterhin sollte die Funktionsweise des Branderkennungs- und Lokalisierungssystem nachgewiesen werden. Aus diesem Grund wurde durch das IFAB Institut für angewandte Brandschutzforschung (IFAB) im spanischen Versuchstunnel San Pedro des Anes ein umfangreiches Versuchsprogramm durchgeführt und durch weitere Fachleute von STUVA, efectis France und SETEC begleitet. In diesem speziellen Versuchstunnel wurden der Querschnitt des Eurotun-nels sowie 2 Lkw nachgebildet (Bild 1). Auf einer Länge von 40 m wurden Nachbauten von Lkw aus Holzpaletten als Brandlast verwendet. Da in diesem besonderen Fall die Wirksamkeit der HDWN-Anlage bei einem Brand von 150 MW nachgewiesen werden sollte wurde eine Zündung der Lkw-Nachbauten mit Dieselpoolfeuern mit einer initialen Brandlast von ca. 25 MW vorgenommen. Nach Erreichen von 150 MW wurde die HDWN-Anlage aktiviert.

Um gleichzeitig die Funktions-weise der Brandnotlüftung zu simulieren, wurde zum Zeitpunkt der Aktivierung der HDWN-Anlage eine Strömungs-umkehr der Ventilation durchgeführt.

Zur Messwerterfassung der Brandversuche wurden im gesamten Versuchstunnel über 150 Sensoren zu Überwachung von Temperaturen, Wärmestrahlung, Druck, Gaskonzentrationen und Strömungsgeschwindigkeit installiert. Zur Überprüfung der Brandaus-breitung wurde auf beiden Seiten der eigentlichen Brand-last in einem Abstand von 1,50 m ein weiteres Zielobjekt aufgestellt.

Nach der Zündung der Initialbrandlast konnte insbesondere durch die Ventilationsgeschwindigkeit eine sehr rasante Brandausbreitung festgestellt werden (Bild 2). So wurde innerhalb weniger Minuten nach Zündung eine Wärmefreisetzungsrate von ca. 200 MW erreicht. Unmittelbar nach der Auslösung der HDWN-Anlage konnte eine deutliche Reduzierung der Temperaturen und Wärmestrahlung in kürzester Zeit festgestellt werden. Insbesondere auch in Kombination mit der Strömungsumkehr durch die Brandnotlüftung konnte weiterhin eine sehr schnelle Reduzierung der Wärmefreisetzungsrate erreicht werden. Damit konnte nachgewiesen werden, dass durch eine schnelle Aktivierung der HDWN-Anlage die Einwirkungen auf die Tunnelinfrastruktur durch den Brand und damit mögliche Schäden deutlich reduziert werden können. Weiterhin wurde auch gezeigt, dass mit aktivierter HDWN-Anlage ein schnelles und vergleichsweise gefahrloses Eingreifen durch die Feuerwehr möglich ist.

Konzept für lange Bahntunnel

Auch wenn immer mehr Fahrzeuge mit Brandbekämpfungsanlagen in Technik- und Passagierbereichen ausgestattet werden, wurde mit dem Konzept der Safe Stationen eine sinnvolle Möglichkeit entwickelt, Nothaltestellen in langen Bahntunneln zusätzlich abzusichern. Damit kann nicht nur eine Verbesserung der Evakuierungsbedingungen für Personen im Tunnel erreicht werden, sondern ebenfalls direkt die Auswirkungen eines Brandes bekämpft und damit Schäden deutlich reduziert werden. Dies kann sich positiv auf die Reparaturkosten nach einem Brand sowie die Stillstandzei-ten auswirken.

Stefan Kratzmeir, Wissenschaft-licher Leiter, IFAB Institut für an-gewandte Brandschutzforschung, Rostock/D

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