Bauüberwachung und Qualitätssicherung

Bauüberwachung und Qualitätssicherung eines Projektes mit mehreren TBM-Vortrieben

Die Bedeutung von intelligenter Bauüberwachung und Qualitätssicherung ist allen am Bau Beteiligten klar. Im folgenden Beitrag wird die erfolgreiche Umsetzung am Beispiel des Brightwater-Treatment-Systems in Seattle/USA dargestellt.

Das Brightwater-Projekt in Seattle, King County, gehört zu den größten Baumaßnahmen der USA, die Teil eines nationalen Programms zur umfassenden Erneuerung und Erweiterung der öffentlichen Abwasseraufbereitung sind.
Mit diesem Projekt erhöht der Bauherr die derzeitige Aufbereitungskapazität in den nördlichen Randgebieten der Stadt Seattle. Insgesamt umfasst das Brightwater-Treatment-System im Osten den Bau einer neuen Kläranlage nahe der Stadt Bothell und neue Transportleitungen. Im Westen endet das Projekt mit einem Unterwasserdiffusor im Puget Sound, einem Meeresarm des Pazifiks. Der Investitionswert des Gesamtprojekts beträgt rd. 1,8 Mrd. USD (Bild 1).
Die Transportleitungen wer-den in einem Tunnel untergebracht, dessen Gesamtlänge ca. 21  km beträgt. Der Tunnelaußendurchmesser beträgt je nach Projektabschnitt zwischen 4 und 5  m. Später werden die Transportleitungen eingezogen und die Zwischenräume verfüllt.
Die Projektgeologie besteht hauptsächlich aus unterschiedlichem, eiszeitlich beeinflusstem Geschiebemergel mit teilweise sehr hoher Abrasivität und durch die hohe Überdeckung bedingten Wasserdrü-cken bis zu 7,5 bar (Bild 2).
Aufgrund der Länge der Baumaßnahme wurde der Tunnel in 4 Vortriebe aufgeteilt und in 3 Vertragslosen beauftragt. Alle Vortriebe zeichnen sich durch Längen zwischen 3,5 und 6,4  km ohne Zwischenschächte aus. Für den West- und den East-Contract haben die jeweiligen Baufirmen EPB-TBM gewählt. Für den Central-Contract wurden wegen der hohen Wasserdrücke seitens des Bauherrn 2 Slurry-TBM vorgeschrieben (Bild 3).
Die Vortriebsarbeiten des East-Contracts konnten Ende 2008 erfolgreich beendet werden, während die anderen 3 TBM jeweils noch mehr als die Hälfte ihrer Vortriebsstrecken vor sich haben.
Die vom Bauherrn beauftragte Bauüberwachung, Jacobs Engineering Inc., hat für die Verfolgung der Vortriebsarbeiten und für die Qualitäts-sicherung des Tunnelbauwerks ein Hilfsmittel gesucht, mit dem folgende Anforderungen erfüllt werden sollten:
– Lückenlose Datensicherung der Vortriebs- und Maschinenparameter in Echtzeit auf einem eigenen Daten-Server
– Flexible Datenvisualisierung der gesammelten Daten in frei wählbaren Formaten
– Ein System für alle Vortriebe, unabhängig vom TBM-Hersteller
– Zugriff und Arbeiten mit dem Programm auch von externen Büros über Internet
– Datensicherheit und -bereitschaft auch nach Beendigung der Vortriebe
– Hilfsmittel zur Auswertung der Daten und zur Verfolgung des Qualitätsmanagements über Zusatzfunktionen
Bauherr und Bauüberwachung haben sich gemeinsam für die von Babendererde Engineers entwickelte Software TPC (Tunnelling Process Control), entschieden.

Datenerfassung und Datenbankverwaltung der TBM
Aufgrund der hohen Anforderungen durch 4 gleichzeitig zu überwachende Vortriebe mit unterschiedlichen Vortriebssystemen und der großen örtlichen Abstände zwischen den Startschächten und dem Hauptbüro wurde gemeinsam eine Infrastruktur zur Datenerfassung entwickelt.
Die Zielsetzung war, ein getrenntes, sicheres und höchstmöglich ausfallsicheres Netzwerk zu errichten, das alle Vortriebsdaten an einem zent-ralen Punkt zusammenfasst und dem Benutzer eine einheitliche Datenstruktur zur weiteren Auswertung aller Vortriebe zur Verfügung stellt. Bild 4 zeigt die entwickelte Hardware-Infrastruktur mit deren Hauptkomponenten.
Die Hardware-Infrastruktur besteht aus 1 Hauptserver im Hauptbüro und 2 Nebenservern auf der Baustelle East- und West-Contract, deren Kommunikation über eine verschlüsselte VPN-Verbindung (Virtuell- Privat-Netzwerk) erfolgt. Der Hauptserver stellt gleichzeitig den Einwahlpunkt für eine offene Zahl externer Benutzer dar. Der Zugriff auf die Software erfolgt über einen handelsüblichen PC mit einem verschlüsselten Internetzugang.
Die beiden Nebenserver sind mit dem Tunnel über eine Glasfaserleitung verbunden. Neben der unmittelbaren Übertragung der Daten zum Hauptserver dienen die Nebenserver auch zur redundanten Speicherung und zur Replizierung der eigenen Vortriebsdaten. Für die beiden Slurry-TBM des Central-Contracts werden die Vortriebsdaten vom Bauunternehmen erfasst und in regelmäßigen Abständen (jede Stunde) an eine FTP-Seite versendet. Der Hauptserver lädt die neu verfügbaren Daten von der FTP-Seite und verarbeitet sie weiter.

Software
Die Software TPC wurde so implementiert, dass sie TBM-typen- und herstellerübergreifend arbeitet. Bei einer durchschnittlichen Anzahl von 130 Sensoren je Vortrieb und einem Aufzeichnungsintervall von 10 Sekunden ergibt sich eine jährliche Datenmenge von 1 639 872 000 Einträgen. Diese große Menge an Vortriebsdaten, die multidimensional in einer SQL-Datenbank gespeichert werden, können mit konstant bleibenden Anfragezeiten jederzeit visualisiert werden. Zusätzlich ist die Datenbank so konzipiert, dass Datenmanipulationen ausgeschlossen werden können.
Die regelmäßigen Abfrage- und Berichtskomponenten wurden zu Projektbeginn auf die Bedürfnisse maßgeschneidert, um die Bauüberwachung in diesem Punkt weitestgehend zu entlasten. So werden Standard-berichte automatisch erstellt, abgelegt und selbstständig per E-Mail verteilt. Auch liest das System manuell erstellte Excel-Tabellen wie zum Beispiel Setzungsmessungen und Aufmaß der Zugbeladung automatisch in die Datenbanken ein.
Für jede Personalebene des Projektes wurden entsprechende Benutzerprofile mit unterschiedlichen Zugriffsberechtigungen eingerichtet, die vom Bauüberwacher, Projekt-ingenieur bis hin zum Projekt-leiter spezielle Oberflächen bieten und unterschiedliche Berichte und Auswertungen liefern.

Spezialberichte
Oft stehen bei Baubespre-chungen technische Sachverhalte des bisherigen Vortriebs auf der Tagesordnung. Dabei spielt die Darstellung der Sachverhalte, auch vergleichend mit weiteren Vortriebsparametern, eine entscheidende Rolle. Die Spezial-berichte ermöglichen die Dar-stellung von Grafiken mit freier Wahl der Achsen, der Parameterkombinationen und der Datendichte. Die einfache Hand-habung erlaubt es, in wenigen Minuten auch Anfragen über eine große Strecke auf Papier zu drucken oder zu plotten (Bild 5).

Echtzeitmonitoring mit aktiver Grenzwertüberwachung
Die Überwachung der Vortriebe und die Qualitätsüberwachung erfolgen durch Inspektoren sowohl im Tunnel als auch im Büro über Tage. Im Büro unterstützt das Echtzeitmonitoring mit flexiblen Oberflächen. Jeder Benutzer kann sich abhängig von seiner Aufgabe „seine“ Oberfläche selbst gestalten. Die Art der Darstellung, Positionen und Gruppierungen sind an die eigenen Bedürfnisse angepasst worden. Bild 6 zeigt exemplarisch einen Screenshot auf die Übersichtsseite eines Vortriebs in Echtzeitdarstellung.
Die Ansichten werden in 10-Sekunden-Intervallen mit den gegenwärtig aktuell verfügbaren Daten aktualisiert.  Dabei werden alle ankommen-den Daten vorher auf Konsistenz und Plausibilität überprüft. Ausgesuchte Werte werden gleichzeitig mit vor Projektbeginn definierten Grenzwerten verglichen. Das Überschreiten eines aktiven Grenzwertes wird per E-Mail oder SMS den zuständigen Personen mitgeteilt.  Auch erfolgt eine automatische Auflösungsmeldung einer vorherigen Grenzwertschreitung.

Schichtberichte und Auswertung
Das Mitschreiben der Vortriebszeiten und das Bewerten der Stillstände stellen eine der Hauptaufgaben nicht nur bei den Vortrieben des Brightwater- Projekts dar. Damit kann sowohl für die Bauunternehmen als auch für die Bauüberwachung objektiv der tatsächliche Vortrieb dargestellt werden. Die flexible Sortierung der Stillstände unterstützt alle Beteiligten dabei in der Prioritätsbewertung und auch in der Ursachenforschung der technischen Probleme. Gleichzeitig werden damit unterschiedliche Vortriebssysteme berücksichtigt.
In diesem Projekt werden die Schichtberichte semiautomatisch anhand der empfangenen Vortriebsparameter ausgefüllt. Am Ende seiner Schicht teilt der Inspektor die erfassten Stillstände in die jeweilige Kategorie und kann weitere Beobachtungen über die Tastatur ergänzen. Die Bauüberwachung und die Baufirma können hier auch den einzelnen Parteien Vorschläge für Verursacheranteile anteilig zuordnen. Damit lässt sich rückblickend eine Auswertung der Stillstände sehr effektiv gestalten. Bild 7 zeigt eine solche Eingabemaske des Schichtberichtes während einer Verzögerungsklassifizierung.
Die Daten aus dem Schicht-bericht dienen in Seattle der Bauüberwachung im Analysemodul als Datenbasis der Auswertung. Die einzelnen Vortriebsaktivitäten können auf Grundlage der Klassifizierung dargestellt werden. Wöchentlich erstellt die Bauüberwachung zu jedem Tunnel diese Analysen, die nach kritischen, d.  h. den Vortrieb verzögernden und unkritischen Wartezeiten gefiltert werden.

Qualitätsmanagement und Dokumentation
Die Sicherstellung der Aus-führungsqualität und die Bau-werksdokumentation sind die ursprünglichen Aufgaben der Bauüberwachung auch in Seattle. Die große Tunnellänge und die verschiedenen Ver-tragsverhältnisse stellen dabei eine überdurchschnittliche An-forderung an die Organisation des Bauherrn dar. Aber auch die Baufirmen möchten eine in sich konsistente und dennoch einfach zu bedienende Mängelverfolgung durchführen. Nur damit kann der personelle Aufwand im Rahmen gehalten werden.
Dafür benutzt die Bauüberwachung 2 Tools, die sowohl die Bauwerksdokumentation als auch die Mängelverfolgung vereinfachen. Ringberichte fassen die wichtigsten Parameter der TBM, des gebauten Tübbingrings und der Ringspaltverfüllung zusammen. Dieser Report wird automatisch für jeden Ring erstellt und verteilt. Zusätzlich kann der Inspektor Beschädigungen der Segmente im QM-/QC-Modul eingeben. Per Mausklick werden Position und Art der Beschädigung eingegeben. Der weitere Reparaturfortschritt jedes einzelnen Schadens wird durch Text und Fotos durchgängig dokumentiert. Auf einem Ausdruckformular wird dann die Reparatur von der Bauüberwachung vertraglich akzeptiert (Bild 8).

Projektfortschritt – Weitere Module
Der Vergleich des tatsächlichen Projektfortschritts mit den geplanten Annahmen ist für alle Beteiligten immer spannend, gibt es doch schon frühzeitig die Indikation, ob der Auftrag ruhig abgearbeitet werden kann oder ob eher mit spannungsgeladenen Baufortschrittsbesprechungen zu rechnen ist.
Dafür stellt die Software einen grafischen Vergleich an, der vom Gesamtprojekt bis zu den Arbeitsschichten beliebig verkleinert werden kann. Auch kann eine grafische Hochrech-nung auf Basis des aktuell durchschnittlichen Fortschritts angezeigt werden.
Die Projektion in die Zukunft wird auch bei dem Kostenmodul verwendet, in dem tatsächliche Kosten mit den geplanten Ausgaben verglichen werden. Dieses Modul ist besonders für die Bauunternehmen interessant (Bild 9).

Fazit
Das Projekt Brightwater befindet sich mitten in der Ausführungsphase. Seit Okto-ber 2007 werden TBMs auf dem Projekt betrieben. Momentan sind ungefähr 8,5  km Tun-nel aufgefahren worden. Für die Bauüberwachung hat sich die Software als sehr effektives Werkzeug etabliert.
Des Weiteren haben sich noch ungeplante Zusatzeffekte ergeben. Bei den öffentlichen Projektfortschritt-Vorstellungen, die in den USA sehr ernst genommen werden, wird gerne auf die Echtzeitdarstellung zurückgegriffen. Sie erzeugt im Publikum auch immer einen gewissen „Wow“-Faktor. Auch bei Beschwerden über Bodenvibra-tionen konnten durch diese Darstellung die Anwohner überzeugt werden, dass die gefühlte Störung nicht von der TBM kam.
Langfristig führt das Speichern von Daten aber auch in der ganzen Tunnelbranche zu Vorteilen. Mithilfe der Datenerfassungssysteme und entsprechender Auswertungen ist es erstmals möglich, in einem vertretbaren Kostenrahmen historische Daten auszuwerten und für neue Projekte zu interpretieren. Dadurch werden sich im Laufe der nächsten Jahre genauere Vorraussagen erzielen lassen, als es aus subjektiven Erinnerungen möglich wäre. Die Verfahren im Tunnelbau können damit weiter optimiert werden.

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